Ausgeliefert – Warum freie Medien endlich gesetzliche Rechte brauchen

Gastbeitrag von Günther Burbach

Es braucht heute keine Vorzensur mehr. Ein schlecht begründetes Label, „Desinformation“, „Putin-Narrativ“, „Hass und Hetze“ und du bist aus dem Schaufenster der Öffentlichkeit verschwunden. Ein Algorithmus dreht den Hahn zu, ein Zahlungsdienst kündigt die Geschäftsbeziehung, ein Hosting-Anbieter verweist auf seine „Policies“. Kein Richterbeschluss, kein ordentliches Verfahren, aber die Existenz ist trotzdem beschädigt. So sieht moderne Ausgrenzung aus.

Wir reden hier nicht über Narrenfreiheit. Wer Straftaten veröffentlicht oder zu Gewalt aufruft, gehört vor ein Gericht. Punkt. Aber darum geht es in der Mehrzahl der Fälle gerade nicht. Es geht um journalistische Positionen, um unbequeme Fragen, um abweichende Deutungen, also um genau das, wofür eine pluralistische Öffentlichkeit existiert. Und die wird schrittweise ausgedünnt.

Beitragsbild: Rechte für freie Medien

Das neue Werkzeug: moralisches Framing + private AGB

Die Methode ist elegant: Der Staat verweist auf Plattformregeln, die Plattformen verweisen auf „gesellschaftliche Verantwortung“, und irgendwo in der Grauzone dazwischen verschwindet ein Kanal, ein Konto, eine ganze Redaktion. Kein klassisches Verbot, sondern digitale Erstickung.

Gerade freie Medien, Manova, Overton, NachDenkSeiten, Free21, Apolut und viele kleinere Projekte, stehen ohne Rechtsabteilung, ohne Gremiensitze, ohne öffentlichen Schutzschirm da. Ihre Inhalte unterliegen denselben Gesetzen wie die der großen Medienhäuser, aber sie haben keinerlei institutionalisierte Mitsprache, wenn diese Gesetze gemacht und umgesetzt werden. Das ist strukturell unfair und politisch riskant.

Die Rechtslage – Chance und Problem zugleich

Die Europäische Union hat mit dem Digital Services Act (DSA) und dem European Media Freedom Act (EMFA) dicke Bretter gebohrt. Der DSA zwingt Plattformen zu mehr Transparenz: Sie müssen Moderationsentscheidungen begründen und in eine öffentliche Datenbank melden; sehr große Plattformen unterliegen besonderen Rechenschaftspflichten. Das ist ein Fortschritt, aber nur, wenn Betroffene diese Rechte tatsächlich durchsetzen können und am Regelwerk mitarbeiten dürfen.

Der EMFA wiederum schafft ein neues Dach für Medienpluralismus und richtet den European Board for Media Services ein, ein Gremium der nationalen Medienregulierer, das die Umsetzung begleiten und die Medienfreiheit schützen soll. Klingt gut. Aber: Wer sitzt da eigentlich für die freien, nicht institutionell eingebundenen Medien? Wer bringt deren Perspektive ein? Aktuell sind es vor allem staatliche und regulierte Akteure.

Parallel gilt in Deutschland weiter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) mit rigiden Löschfristen für rechtswidrige Inhalte. In der Praxis führt das häufig zu Überreaktionen: Unternehmen löschen im Zweifel zu viel, um Bußgelder zu vermeiden. Trifft es einen Großverlag, gibt es Gegenwehr. Trifft es eine freie Redaktion, fehlt oft die Kraft für lange Verfahren. So versucht man ständig, sich selbst zu zensieren, um unter dem Radar zu fliegen. In wie weit das heute noch möglich ist, bleibt dahingestellt.

Zwar hat die EU 2024 eine Anti-SLAPP-Richtlinie beschlossen, die missbräuchliche Einschüchterungsklagen gegen Journalisten eindämmen soll. Doch hilft das wenig, wenn parallel zugangsentscheidende Infrastrukturen, Sichtbarkeit, Zahlungsabwicklung, Hosting, privatrechtlich entzogen werden. Wir brauchen Schutz vor offener Klage und lautloser Drosselung.

Was jetzt zu tun ist – fünf konkrete Forderungen

1. Gesetzlich gesicherte Verfahrensrechte bei Sperrung und Kündigung
Wenn Plattformen, Zahlungsdienste oder Hoster Medienangebote einschränken, muss es ein echtes Verfahren geben: nachvollziehbare Begründung, Fristen, Akteneinsicht, suspendierende Wirkung bei Widerspruch und ein unabhängiges Rechtsmittel. Der DSA kennt bereits Transparenzpflichten, aber sie müssen praktisch nutzbar werden: standardisierte Beschwerde- und Eilverfahren, die zeitnah Entscheidungen korrigieren können.

2. Sitz und Stimme für freie Medien in den EU-Gremien
Der neue Medienrat im Rahmen des EMFA darf kein exklusiver Club sein. Freie Medienverbände müssen als ständige Beobachter mit Rederecht verankert werden. Ohne diese Perspektive wird „Pluralismus“ schnell zur Verwaltungsfloskel.

3. Gleichbehandlungspflicht bei zugangsentscheidenden Diensten
Infrastrukturen wie Zahlungsabwicklung, Hosting oder App-Stores sind faktisch Gatekeeper. Wer journalistisch arbeitet und keine Straftat begeht, hat Anspruch auf faire, diskriminierungsfreie Behandlung. Kündigungen dürfen nicht auf politisch-inhaltliche Gründe oder vage „Risikobewertungen“ gestützt werden. Das kann europarechtlich über Wettbewerbs- und Binnenmarktregeln abgesichert werden. Die Frage, was Hass oder Hetze ist, darf zukünftig nicht auf ideologischen Entscheidungen beruhen.

4. DSA-Rechte praktisch nutzbar machen
Die Transparenzdatenbank des DSA ist eine Goldgrube: Dort lässt sich nachvollziehen, wieso Inhalte gesperrt wurden und mit welcher Begründung. Freie Medien brauchen eine gemeinsame Auswertung, um Muster zu erkennen, Tendenzen offenzulegen und gezielt gegen systematische Benachteiligung vorzugehen.

5. Nationale Ombudsstellen für Medienzugang
Deutschland sollte, ergänzend zum EMFA, eine unabhängige Ombudsstelle schaffen, die Fälle von De-Ranking, Kontokündigungen oder Sperrungen im Medienbereich schnell prüft und Empfehlungen ausspricht. Nicht als Zensuraufsicht, sondern als Schutzinstanz für legale Inhalte.

Kein Sonderrecht – nur Rechtsstaat für alle

Wer jetzt ruft „Ihr wollt Sonderrechte!“, irrt. Wir wollen Rechtsstaat statt Blackbox. Wenn eine Plattform eine Redaktion wegen angeblichen Regelverstoßes drosselt, ist das nicht „Privatsache“, es ist eine Entscheidung über öffentliche Sichtbarkeit. Wo wirklich Kriminalität im Spiel ist, soll der Rechtsweg greifen. Aber bei legaler publizistischer Arbeit gilt: kein heimliches Berufsverbot über AGB.

Die EU selbst betont, dass Medienfreiheit und Pluralismus Kernbestandteile der Demokratie sind, genau dafür wurde der EMFA erlassen. Dann muss diese Einsicht auch praktisch ankommen: in den Dashboards der Plattformen, in den Kündigungsschreiben der Zahlungsdienste, in den Abläufen der Regulierungsbehörden.

Warum das alle angeht – nicht nur „uns“

Das Argument „Wer seriös ist, hat nichts zu befürchten“ ist naiv. Heute trifft es die Unbequemen, morgen die Nonkonformen, übermorgen jeden, der eine Schlagzeile zu früh oder zu scharf formuliert. Pressefreiheit ist immer die Freiheit des anderen. Sie stirbt nicht in einem großen Skandal, sondern in tausend administrativen Nadelstichen.

Selbst große Medienorganisationen und internationale Beobachter warnen inzwischen, dass die Medienfreiheit in Europa fragiler geworden ist: Eigentumskonzentration, politischer Druck, Einschüchterungsklagen, polizeiliche Übergriffe, all das ist dokumentiert. Neue Gesetze können helfen, wenn sie nicht nur auf dem Papier existieren und neutral bewerten.

Und jetzt praktisch: selbst organisieren – nicht betteln

Wer Rechte will, muss organisiert sein. Was die großen Verlagshäuser, Rundfunkanstalten und Lobbyverbände längst tun, müssen die freien Medien jetzt nachholen.
Das bedeutet:

  • Gründung eines Berufsverbands oder einer gewerkschaftsähnlichen Struktur freier Medien mit juristischer und technischer Kompetenz
  • Aufbau eines „Legal Helpdesk“ für Fälle von Sperrungen, Kontokündigungen und Algorithmus-Drosselung
  • Aktive Beteiligung an EU-Konsultationen und nationalen Gesetzesprozessen
  • Einrichtung eines Fonds für juristische Ersthilfe und Anti-SLAPP-Verfahren

Das ist keine Revolte. Das ist Selbstbehauptung im Rahmen des Rechts, aber entschlossen. Wir wollen nicht geduldet werden. Wir sind Teil des Medienökosystems, und ohne uns fehlt der demokratischen Öffentlichkeit das Korrektiv.

Die Alternative zu Rechten ist Gnade. Gnade gibt es, solange du gefällst. Rechte schützen dich gerade dann, wenn du nicht gefällst.
Wer freie Medien will, muss ihnen rechtsverbindliche Verfahren, Sitze am Tisch und Zugang zu den zentralen Infrastrukturen sichern. Alles andere ist ein höflicher Weg in die Bedeutungslosigkeit.

Es ist Zeit, vom Bitten zum Einfordern zu wechseln.

Quellen und Anmerkungen

„Digital Services Act: Commission launches Transparency Database“ – Europäische Kommission.
https://digital-strategy.ec.europa.eu/en/news/digital-services-act-commission-launches-transparency-database

„Dashboard – DSA Transparency Database“ – EU-Website.
https://transparency.dsa.ec.europa.eu/dashboard?lang=en

„European Media Freedom Act“ – Europäische Kommission.
https://commission.europa.eu/strategy-and-policy/priorities-2019-2024/new-push-european-democracy/protecting-democracy/european-media-freedom-act_en

„Initiative against abusive litigation targeting journalists and rights defenders“ – Europäisches Parlament.
https://www.europarl.europa.eu/legislative-train/theme-a-new-push-for-european-democracy/file-initiative-against-abusive-litigation-targeting-journalists-and-rights-defenders

„The EU Digital Services Act: The Transparency Database provides two ways for submitting statements of reason …“ – IAPP.
https://iapp.org/news/a/the-eu-digital-services-act-ready-to-meet-reporting-obligations/

International Federation of Journalists (IFJ): Europe: Press Freedom Report 2024 warns about persistent threats to media freedom — 05.03.2025. Zugriff am [heutigen Datum].
https://www.ifj.org/media-centre/news/detail/category/press-releases/article/europe-europe-press-freedom-report-2024-warns-about-persistent-threats-to-media-freedom

 

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