Technische Fehler im Zusammenhang mit Atomwaffen

Aufsatz anlässlich der 3. Staatenkonferenz des Atomwaffenverbotsvertrags

Gastbeitrag von Uwe Werner Schierhorn

Nachdem in früheren Artikeln bereits über die Weltenretter Petrov und Rupp sowie über menschliche Fehler berichtet wurde, soll es in diesem Artikel um technische Fehler im Zusammenhang mit Atomwaffen gehen. Dieser Aufsatz ist sehr umfangreich, denn er beinhaltet genau die andere Hälfte aller bekannten Vorfälle mit Atomwaffen. Aus diesem Grund wird er hier nur in Auszügen veröffentlicht und am Ende des Artikels mit allen Quellen vollständig zum Download bereitgestellt. 

Wissenschaft und Technik schreiten unaufhaltsam voran. Beispielsweise werden mit Computern der heutigen Generation bereits Computerchips der jeweils nächsten Generation erstellt. Vor allem durch ausgeklügelte Qualitätssicherung wird nun versucht, technische Fehler bei den Produkten zu vermeiden oder zumindest auf ein vertretbares Maß zu reduzieren. Jedoch ist der Aufwand dazu immer gleichzeitig eine ökonomische Fragestellung.

Quelle https://pixabay.com/de/photos/elektronik-printed-circuit-board-4401801/

Da für die Erprobung und Überprüfung neuer, vor allem komplexer Technologien nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung steht, können unentdeckte Fehler mitgeschleppt werden.

Bei Massenprodukten, von denen eine geringe Gefahr ausgeht und die einfach nur „kaputtgehen“, ist das meist kein Problem. In Bereichen höherer und höchster Sicherheit jedoch, vor allem in den Bereichen Verkehr (z.B. Luftfahrt, Raumfahrt, See, Schiene, Straße), Verfahren (z.B. Chemie) und Energie (z.B. Atomkraftwerke) gibt es eine Vielzahl von Unfällen und Katastrophen, die auf das Konto der Technik gehen. Im Bereich Atomwaffen ist das ebenso.

Technische Fehler haben also mitunter schwerwiegende Konsequenzen, sind aber etwas ganz Normales.

Es ist daher davon auszugehen, dass die Technik auch in Zukunft nicht fehlerfrei sein wird. Auf Künstliche Intelligenz (KI), die hier einen Einfluss besitzt, wird in einem späteren Aufsatz gesondert eingegangen.

Hinter technischen Fehlern können auch oft menschliche Fehler stecken. Die Technik wird durch den Menschen geschaffen. Profit und Zeitdruck können eine Rolle spielen. Diese indirekten Fehler sollen jedoch hier nicht betrachtet werden, da sonst die Darstellung zu kompliziert und zu unübersichtlich wird.

Im Folgenden sollen nun technische Fehler analysiert und klassifiziert werden, ähnlich wie das schon mit menschlichen Fehlern geschah.

Technische Fehler im Zusammenhang mit Atomwaffen sind Fehler, die mit dem Frühwarn- und Entscheidungssystem zusammenhängen (z.B. Computer-, Sensor- und Übertragungsfehler). Weiterhin gibt es technische Fehler, die an die Trägersysteme gekoppelt sind (Luftverkehrszeuge, Land-Silos, Wasserfahrzeuge).

Versuchen wir nun, einen Einblick in die technischen Fehler im Zusammenhang mit Atomwaffen zu gewinnen. Die betreffenden Ereignisse sind in den Bezugsquellen chronologisch gelistet:

[Schie2kurz], [Schie2lang], [Schie2druck]

Sie sind mit einem oder mehreren Codes versehen, die jeweils die Art der technischen Fehler wiedergeben. So sieht ein Ereignis in der Kurzversion aus:

1961-03-14:  US:                  (EWA/HAD) Yuba City/Kalif., Absturz B-52, 4 A-Bomben, Dekompression, Treibstoffmangel, keine Verseuchung, 1 Toter, Verletzte

Damit ist klar, dass Textblöcke mehrfach gelistet sein können aus Gründen der Vollständigkeit. Weiterführende Informationen:

Webseiten: [B1], [Schie3Senk]

Vorträge: [B2]

Filmtrailer: [TrailerLivingston], [TrailerArchipov], [TrailerPreminin], [TrailerGroenland]

Filmausschnitte: [FilmausschnittRupp], [FilmausschnittNN], [FilmausschnittBrown]

Vorfälle

Zusammenbruch

Am 21. Januar 1968 zerschellte auf Grönland ein B-52-Bomber mit vier Wasserstoffbomben an Bord, wobei eine davon nicht gefunden wurde. Dieses Beispiel soll zeigen, wie durch einen zunächst harmlos klingenden technischen Fehler das Gesamtsystem zum Zusammenbruch geführt werden kann. Unglücklicherweise wurden an Luftaustritten gelagerte Kissen durch eine defekte Heizung mit heißer Luft zum Brennen gebracht. Die verantwortliche defekte Heizung führte zum Zusammenbruch aller Folgesysteme, zum Absturz des Flugzeuges, zur konventionellen Detonation der Atombomben mit Kontamination und zur Verletzung mehrerer bzw. Tötung von zwei Crew-Mitgliedern. Der Pilot und die Crew mussten das Flugzeug verlassen, bevor sie dem SAC HQ ihre genaue Situation mitteilen konnten. Das Flugzeug schlug 11 km vor der Küste ins Eis ein. Der Treibstoff und die herkömmlichen Explosivstoffe der Atomwaffen detonierten, aber die atomaren Explosivstoffe wurden nicht gezündet, sodass es keine Atomexplosion gab. Wäre der atomare Bestandteil explodiert, hätte die unterlassene Meldung des Piloten und der Crew das SAC HQ sicher zu der Annahme geführt, dass die Explosion ein Angriff gewesen sei. Die Personen vor Ort, die die Trümmer bargen bzw. das geschmolzene Eis behandelten, erkrankten durch das Plutonium an Krebs und hatten große Mühe, eine angemessene Entschädigung zu erhalten. Die sogenannte „Bomberbereitschaft“, bei der sich die Bomberflotte permanent in der Luft befindet, wurde von den USA seitdem eingestellt. 1971 brachte man das Thema „Unfälle mit Atomwaffen“ in die Kommunikation des sogenannten „heißen Drahtes“ ein.

Computer

1984 wollte eine Minuteman-Rakete „unerlaubt“ starten. Wegen eines Computerfehlers erhielt die Rakete in Cheyenne, Wyoming, den Startbefehl. Um den Start zu verhindern, wurde ein gepanzertes Auto auf dem Land-Silo geparkt.

Computer Hardware

Am 03.06.1980 wurden dem NORAD (North American Aerospace Defense Command) sowjetische Raketenangriffe gemeldet. Dort, wo die Anzahl der angreifenden Raketen ausgegeben wird, im Normalfall „0000“, stand die Zahl „2222“. Man begann mit den Vorbereitungen laut Protokoll. Sicherheitsberater Zbigniew Brzeziński wurde geweckt. Ein Chip im Wert von wenigen Cent war die Ursache. Präsident Carter wurde nicht geweckt. Nach acht Minuten wurde der Alarm gestoppt. Bereits am 28.05.1980 gab es einen ähnlichen Fall.

Am 06.06.1980 wiederholte sich der Fehlalarm vom 03.06.1980 und sorgte für drei Minuten Alarmzustand.

Computersoftware

Am 23.10.2010 bestand für eine Stunde Kontrollverlust zu 50 Stück Interkontinental-Raketen vom Typ Minuteman-III. Die Raketen waren in hoher Alarmbereitschaft und mit Atomsprengköpfen ausgestattet. Es könnte auch schon vorher Kommunikationsprobleme in der Einrichtung gegeben haben. Später wurde herausgefunden, dass installierte Software die Ursache war. Die Schutzvorrichtungen gegen einen unautorisierten Abschuss der amerikanischen Raketen waren für eine knappe Stunde beeinträchtigt. Die unterirdischen Abschusszentren hätten unautorisierte Abschussversuche weder erkennen noch verhindern können.

Viele weitere Vorfälle zu technischen Fehlern sind im ausführlichen Aufsatz beschrieben.

Summation

Technische Fehler im Zusammenhang mit Atomwaffen - image

Bei den technischen Fehlern liegen die Trägersysteme Luft (16x), also flugzeuggestützte Systeme, vorn, gefolgt von Sensorfehlern (8x) und den Trägersystemen Land (7x) und See (6x).

Besonders in den 1950er und 1960er Jahren stellten Bomberflugzeuge ein hohes Risiko dar. Bei deren Substitution in den 1960ern durch landgestützte Interkontinental-Raketen gab es technische Anlaufschwierigkeiten, ebenso bei mit Raketen bestückten Seefahrzeugen (6x), z.B. U-Booten. Somit bleiben die Sensoren (8x) als Hauptfehlerquellen bis heute bestehen.

Erst danach folgen die Computerfehler (3x) und die Fehler der Übertragung (1x) und des Zusammenbruchs (1x). Es ist daher davon auszugehen, dass die Technik auch in Zukunft nicht fehlerfrei sein wird. Auf Künstliche Intelligenz (KI) wird in einem späteren Aufsatz gesondert eingegangen.

In den 1950er/1960er (48x) und in den 1980er Jahren (16x) ist eine starke Anhäufung technischer und menschlicher Fehler zu verzeichnen. Während in den 1950ern und 1960ern technische Umbrüche und die Türkei-Kuba-Krise eine Rolle spielten, kann in den 1980er Jahren die nukleare Hochrüstung als Ursache der vielen Ereignisse angesehen werden.

Fazit – allgemein

In den vergangenen 80 Jahren waren in der Literatur mindestens 80 besorgniserregende Vorfälle zu finden, meist in den USA geschehen. Weil in der Sowjetunion ähnliche Verhältnisse vorliegen, müssen die nicht veröffentlichten Ereignisse ungefähr in gleicher Höhe hinzugerechnet werden. Das wären hochgerechnet zwei Vorfälle weltweit jährlich. Wenn eine Wahrscheinlichkeit für ein Ereignis dauerhaft größer als null ist, wird dieses Ereignis mit Sicherheit eintreten. Irgendwann.

Launch Control Officer

Atomwaffen und ihre Peripherie stellen das größte globale Sicherheitsrisiko aller Zeiten dar. Sie sind praktisch unbeherrschbar und militärisch sinnlos, da sie das Kriegsgeschehen sicher eskalieren lassen. Die Atomwaffentechnik befindet sich in einer Sackgasse, aus der sie nicht entkommen kann. Eine sofortige weltweite Abrüstung und Vernichtung der Waffen wären die logische Konsequenz.

Fazit – gemeinsames, internationales Frühwarnzentrum

Deshalb muss das Risiko des „Atomkrieges aus Versehen“ idealerweise auf „Null“ gebracht werden. Es gilt also, Missverständnisse auszuschließen und technische und menschliche Fehler zu minimieren bzw. über diese sofort zu kommunizieren. Eine große Rolle spielt dabei ein gemeinsames internationales Frühwarn- und Entscheidungszentrum. Im Zentrum wird die Kommunikation nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft und Technik umgesetzt. So zum Beispiel schneller, maximaler Datenaustausch in Echtzeit, weil die Reaktionszeit gegen „Null“ geht. Die Ursache sind Trägersysteme, die immer schneller werden, z.B. Hyperschall-Raketen.

Das gemeinsame Zentrum fördert außerdem durch die Kooperation das gegenseitige Vertrauen. Vertrauen ist die Vorbedingung für den Frieden.

Anmerkung der Redaktion: Die Aufsatzreihe handelt von 7 Weltenrettern, menschlichen Fehlern, technischen Fehlern, risikoerhöhenden Ursachen, risikosenkenden Maßnahmen sowie K.I. (Künstlicher Intelligenz) im Zusammenhang mit Atomwaffen.

Bereits veröffentlicht:

Weltenretter Stanislav Petrov https://diebasis-partei.de/2023/09/die-rettungstat-von-stanislav-petrov-vor-40-jahren-2/

Weltenretter Rainer Rupp https://diebasis-partei.de/2023/11/die-rettungstat-von-rainer-rupp-vor-40-jahren/

Menschliche Fehler https://diebasis-partei.de/2024/01/menschliche-fehler-im-zusammenhang-mit-atomwaffen/

Der Autor ist Mitglied im Landesverband NRW, Mitinitiator der Initiative „Atomkrieg aus Versehen“ sowie Mitglied der Bundes-AG Frieden. Er bietet auf Anfrage Vorträge zum Thema Weltenretter an.

Kompletter Aufsatz zu technischen Fehlern im Zusammenhang mit Atomwaffen und Literaturverzeichnis zum Download
 

Kontakt zur Redaktion der Basis: