Gastbeitrag von Chris Barth
Am 1. Oktober 2025 um 10 Uhr richtet sich der Blick nach Leipzig. Das Bundesverwaltungsgericht wird öffentlich die Frage behandeln, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) in seiner zentralen Aufgabe – der Sicherung von Meinungsvielfalt – strukturell versagt hat (Az. BVerwG 6 C 5.24). Hinter dieser juristischen Auseinandersetzung verbirgt sich mehr als ein medienrechtlicher Streit. Es geht um das Fundament unserer Demokratie, um Vertrauen in Institutionen – und um die Frage, ob Journalismus zur Friedensordnung beitragen kann.
Ein Streit, der die Demokratie betrifft
Der Fall, der in Leipzig zur Revision steht, hat seinen Ursprung in Bayern. Eine Klägerin, unterstützt von der Bürgerinitiative „Leuchtturm ARD ORF SRG“, wirft dem Bayerischen Rundfunk vor, seinen Auftrag nicht zu erfüllen. Der ÖRR, so der Vorwurf, informiere nicht „frei, umfassend und wahrheitsgemäß“.
Schon zuvor hatte ein Richter in Dresden in einem ähnlichen Verfahren darauf hingewiesen, dass der Rundfunkbeitrag in Frage gestellt werden könnte, wenn die Leistung „strukturell bedingt nicht ausreichend erbracht“ werde.
Damit rückt ein bislang eher abstrakter Gedanke in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte: Wenn die Vielfalt der Meinungen nicht mehr gewährleistet ist, wankt die Legitimation des Systems, das alle Bürger zur Finanzierung verpflichtet.
Die Forderung nach Erneuerung
Viele Stimmen aus der Zivilgesellschaft sehen in der Leipziger Verhandlung einen Wendepunkt. In einer gemeinsamen Erklärung von LeuchtturmARD vom Juli 2025 heißt es:
„Meinungsvielfalt ist die Grundlage von Demokratie und Frieden. Alle drei bedingen sich gegenseitig.“
Die Initiatoren – ein Forum aus Kritikern und Reformbefürwortern – sprechen von einem „reformbedürftigen und reformfähigen“ ÖRR. Die Kernforderung: eine Plattform echter Meinungsvielfalt, die frei ist von politischer und wirtschaftlicher Einflussnahme. Dafür seien nicht nur Strukturreformen, sondern auch ein „breiter politischer Konsens“ nötig.
Unterstützt wird dieser Aufruf von einem breiten Spektrum prominenter Persönlichkeiten, darunter Journalisten wie Patrik Baab, Wissenschaftler wie Ulrike Guérot, Filmemacher wie Dirk Pohlmann oder Publizisten wie Gabriele Krone-Schmalz. Gemeinsam eint sie die Überzeugung, dass Vertrauen nur zurückgewonnen werden kann, wenn der ÖRR grundlegend erneuert wird.
Die Rolle der Bürgerinitiative „Leuchtturm ARD ORF SRG“
Eine der treibenden Kräfte hinter dem Verfahren ist die Bürgerinitiative „Leuchtturm ARD ORF SRG“. Gegründet 2021 von dem Filmproduzenten Jimmy C. Gerum, hat sie sich seither zu einem bundesweiten Netzwerk entwickelt. Ihr Ziel: den ÖRR zu reformieren und auf Missstände aufmerksam zu machen.
Die Initiative organisierte hunderte Klagen, stellte juristische Plädoyers bereit und beriet Bürger über eine Hotline. Die Belastung der Verwaltungsgerichte durch diese Welle von Verfahren habe, so die Initiative, überhaupt erst den Revisionsbeschluss des Bundesverwaltungsgerichts im Mai 2024 möglich gemacht. Gerum fasst das Selbstverständnis so zusammen:
„Die Meinungsvielfalt ist ein wesentlicher Faktor der Demokratie und steht in direktem Zusammenhang mit der globalen Friedensordnung.“
Für die Initiative geht es nicht darum, den Rundfunkbeitrag abzuschaffen – was ihr durchaus schon Kritik von anderen Mitstreitern aus der Demokratie- und Friedensbewegung einbrachte. Vielmehr wolle man Bewusstsein dafür schaffen, dass Unabhängigkeit einen Preis habe – und dass die Bürger diesen Preis nur dann mittragen sollten, wenn der ÖRR seine Aufgabe erfüllt. Bis dahin bleibe der Beitragsboykott ein legitimes Mittel des Protestes.
Medienkritik und die Sehnsucht nach mutigem Journalismus
Auch Stimmen aus klassischen Medienhäusern greifen die Debatte auf. Die Schwäbische Zeitung schrieb im August 2025: „Zuallererst sind es die Sendeanstalten der öffentlich-rechtlichen Medien, die die gesetzliche Pflicht zur ausgewogenen Berichterstattung haben. Doch im Grunde ist es der Journalismus als Ganzes, der laut Pressekodex mit dieser Aufgabe betraut ist“.
Der Autor verbindet diese Pflicht mit einer grundsätzlichen gesellschaftlichen Frage: Wie lässt sich in Zeiten multipler Krisen und globaler Konflikte Orientierung geben? Anstatt einseitig über „Kriegstüchtigkeit“ zu sprechen, brauche es Perspektiven der „Friedenstüchtigkeit“.
Mutiger Journalismus sei gefordert, um die Ursachen von Konflikten transparent zu machen. „Was nützt uns die Meinungsfreiheit, wenn uns die nötigen Informationen fehlen, uns eine bilden zu können?“ – mit diesem Zitat Hannah Arendts bringt der Artikel das Dilemma auf den Punkt. Es geht also nicht allein um formale Vielfalt, sondern um Substanz: Welche Themen werden überhaupt aufgegriffen? Welche Stimmen kommen zu Wort? Und wer entscheidet, was als relevant gilt?
Gewaltlosigkeit und Aufrichtigkeit als Leitprinzipien
Neben der strukturellen Kritik formulieren Reforminitiativen auch ethische Leitlinien für den Journalismus der Zukunft. Dazu zählen zwei Prinzipien: Gewaltlosigkeit und Aufrichtigkeit.
Gewaltlosigkeit bedeutet nicht nur, auf kriegerische Rhetorik zu verzichten, sondern auch verbale Abrüstung im öffentlichen Diskurs. Aufrichtigkeit wiederum verlangt von Medienschaffenden, sich den eigenen Mängeln bewusst zu stellen und sich gegen einseitige Narrative zu wehren.
Diese Haltung verbindet Medienkritik mit Friedenspolitik: Wer den öffentlichen Diskurs fair und respektvoll gestaltet, trägt dazu bei, gesellschaftliche Konflikte zu entschärfen. Umgekehrt kann die Vernachlässigung dieser Aufgabe Konflikte verschärfen – und das Vertrauen in Medien nachhaltig beschädigen.
Mehr als ein Rundfunkprozess
Der Leipziger Termin ist deshalb mehr als ein juristischer Termin. Er ist ein Prüfstein für die demokratische Kultur in Deutschland. Sollte das Gericht feststellen, dass der ÖRR strukturell gegen seinen Auftrag verstößt, hätte das weitreichende Konsequenzen – nicht nur für die Sender, sondern auch für das Beitragsmodell, das auf allgemeiner Akzeptanz beruht.
Doch selbst wenn die Klägerin keinen vollständigen Erfolg hat, ist die Debatte entfacht. Schon heute zeigt sich, dass immer mehr Bürger und Experten den ÖRR nicht mehr als „Leuchtturm“ der Meinungsvielfalt wahrnehmen. Der Wunsch nach Reform und Erneuerung ist unüberhörbar.

Ausblick: Verantwortung übernehmen
Wie es weitergeht, hängt nicht nur von Richtern ab, sondern auch von Journalisten, Politikern – und Bürgern. „Demokratie bekommen wir nicht geschenkt. Wenn wir zu nachlässig sind, wird sie uns genommen“, warnt die Initiative Leuchtturm ARD ORF SRG.
Das ist vielleicht die wichtigste Botschaft dieser Auseinandersetzung: Es geht um Verantwortung. Um die Verantwortung von Medien, sich kritisch, unabhängig und vielfältig aufzustellen. Um die Verantwortung der Politik, die strukturellen Voraussetzungen dafür zu schaffen. Und um die Verantwortung der Bürger, ihre Rechte einzufordern und sich nicht mit vorgefertigten Narrativen zufriedenzugeben.
Schluss
Das Verfahren in Leipzig ist ein Moment der Wahrheit. Es geht um mehr als den Rundfunkbeitrag oder um juristische Spitzfindigkeiten. Es geht darum, ob der öffentliche Rundfunk seiner Rolle als „vierte Gewalt“ gerecht wird und ob er ein Fundament der Demokratie bleibt. Die Auseinandersetzung berührt damit letztlich die Frage, wie wir unsere Zukunft gestalten wollen: als Gesellschaft, als Demokratie, als Friedensgemeinschaft.
Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel ist zuerst bei der Bürgerzeitung Klartext Rhein-Main erschienen.
Demonstration
Die Gerichtsverhandlung wird ab 9 Uhr von einer Demonstration auf dem Simsonplatz vor dem Bundesverwaltungsgericht begleitet.
Bisherige Zusagen als Redner:
vor, während oder nach dem Prozess:
- Alexander Teske, Autor „inside Tagesschau“
- Dr. Alexander King, BSW
- Alexandra Motschmann, Autorin
- Annekatrin Mücke, Journalistin
- Florian Pfaff, Friedensaktivist
- Ingrid Reich, Mahnwache Frankfurt HR
- Claus Bienfait, Mutbürger e.V.
- Anselm Lenz, Journalist
- nach dem Prozess:
Rechtsanwalt Dr. Harald von Herget, Inhaber des Mandats der Klägerin
Carlos A. Gebauer, Berater im Klageverfahren
Roland Schatz, Mediatenor
Jimmy Gerum, bevollmächtiger Vertreter der Klägerin (die anonym ist und nicht nach Leipzig
kommt)