Offener Brief vor Gericht

Zum Urteil des Landgerichts Osnabrück gegen Mitglieder der Partei dieBasis

von Peter Scheller

Das Landgericht Osnabrück hat vier Mitglieder der Partei dieBasis wegen gemeinschaftlich versuchter Nötigung in zahlreichen Fällen zu Geldstrafen verurteilt. 1 Ausgangspunkt war ein offener Brief 2 im Kontext der Corona-Maßnahmen, der an Ratsmitglieder im Raum Osnabrück verschickt wurde. Die Verurteilung wirft grundlegende Fragen zur Grenze zwischen strafbarer Nötigung und zulässiger politischer Kritik auf – und zu den Risiken, wenn politische Appelle an Mandatsträger in den Bereich des Strafrechts gezogen werden.

Worum ging es konkret?

Im Februar 2022 wandten sich die betroffenen Mitglieder des Kreisverbands Osnabrück in einem offenen Schreiben an die kommunalen Mandatsträger im Osnabrücker Stadtrat und Kreistag. Sie kritisierten die damalige Corona-Politik und verwiesen auf ein ausführliches „Ausstiegskonzept“, das sie beifügten. Die Adressaten wurden aufgefordert, sich mit den dort dargestellten Argumenten auseinanderzusetzen und ihre Entscheidungen in der Corona-Politik zu überdenken.

Im Schreiben findet sich auch der Hinweis, dass die Empfänger als Unterstützer der bisherigen Maßnahmen dokumentiert würden und ihr Name möglicherweise in einer Liste – etwa auf einer Webseite – erscheinen könnte. Zugleich wird sinngemäß formuliert, niemand solle sich später damit herausreden können, er habe „von nichts gewusst“.

Mehrere Ratsmitglieder empfanden diese Formulierungen als bedrohlich und erstatteten Anzeige. Die Staatsanwaltschaft wertete das Schreiben als Versuch, politische Entscheidungsträger durch Druck zu einem Kurswechsel zu bewegen, und erhob Anklage wegen versuchter Nötigung.

Beitragsbild zum Urteil gegen dieBasis-Mitglieder wegen Nötigung

Exkurs: Was verlangt der Straftatbestand der Nötigung?

Nach § 240 Strafgesetzbuch macht sich strafbar, wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einem bestimmten Verhalten nötigt. Daraus ergeben sich im Kern drei Hürden:

  • Drohung mit einem empfindlichen Übel: Es muss eine ernsthafte Aussicht auf einen Nachteil angekündigt werden, der aus Sicht des Betroffenen deutlich ins Gewicht fällt.
  • Zielgerichtete Beeinflussung: Die Drohung muss darauf angelegt sein, den Willen des anderen zu beugen, ihn also zu einem bestimmten Tun, Dulden oder Unterlassen zu bewegen.
  • Rechtswidrigkeit: Nicht jede Drohung ist rechtswidrig: Hinweise auf zulässige Rechtsfolgen (z. B. „Wenn Sie den Vertrag brechen, klage ich.“) sind grundsätzlich erlaubt. Rechtswidrig ist eine Nötigung, wenn die eingesetzten Mittel oder der angestrebte Zweck als sozial unerträglich gelten.

Vor diesem Hintergrund ist entscheidend, ob der streitige Brief tatsächlich eine strafbare Drohung enthält, oder ob er lediglich politische Verantwortung und mögliche rechtliche Konsequenzen in Aussicht stellt.

Politische Verantwortung oder strafbare Drohung?

Strittig ist, wie die Formulierungen im Schreiben zu verstehen sind. Die Unterzeichner wollten – ihrem Vortrag nach – Mandatsträger darauf hinweisen, dass sie für ihr Abstimmungsverhalten politisch und möglicherweise auch juristisch Verantwortung tragen. Die Ankündigung, dies öffentlich zu dokumentieren, knüpft an klassische Formen politischer Auseinandersetzung an: Namenslisten, offene Briefe, Aufrufe an Wählerinnen und Wähler, sich ein Bild vom Abstimmungsverhalten ihrer Vertreter zu machen.

Das Gericht hat diese Passagen offenbar als Androhung eines empfindlichen Übels gewertet. Wer den Forderungen nicht folgt, muss – so die Interpretation – mit öffentlicher Bloßstellung, beruflichen Nachteilen oder späteren Verfahren rechnen. Damit wird aus einem Hinweis auf Verantwortung ein strafrechtlich relevanter Druck.

Genau an dieser Stelle stellt sich die grundsätzliche Frage

Wo endet das – vom Grundgesetz geschützte – Recht, Politiker kritisch anzusprechen, ihnen mögliche Konsequenzen ihres Handelns vor Augen zu führen und öffentliche Transparenz anzukündigen?

Und wo beginnt eine rechtswidrige Drohung, die als Nötigung bestraft werden darf?

Die Grenze zwischen „politisch unbequem“ und „strafbar“ scheint hier außergewöhnlich scharf gezogen worden zu sein.

Offene Briefe als Bestandteil demokratischer Debatte

Offene Briefe gehören seit langem zur politischen Kultur. Bürger, Verbände und Initiativen wenden sich öffentlich an Regierungen oder Parlamente, um auf Missstände hinzuweisen, Entscheidungen zu kritisieren oder Kursänderungen zu verlangen.

Typische Elemente sind:

  • eine deutliche, teilweise zugespitzte Sprache,
  • ein Hinweis, dass das Verhalten der Adressaten beobachtet und dokumentiert wird,
  • eine Aufforderung, Verantwortung zu übernehmen und Position zu beziehen.

Wenn solche Instrumente künftig unter dem Verdacht der Nötigung stehen, droht ein Abschreckungseffekt. Wer Mandatsträger zu einer Kurskorrektur aufruft und dabei deutliche Worte verwendet, muss befürchten, selbst Beschuldigter in einem Strafverfahren zu werden.

Gerade kleinere Parteien, Initiativen und Bürgergruppen sind darauf angewiesen, mit begrenzten Mitteln Aufmerksamkeit zu erzeugen. Wenn schon der Hinweis, man werde das Abstimmungsverhalten festhalten und veröffentlichen, als „empfindliches Übel“ ausgelegt wird, geraten legitime Formen politischer Einflussnahme unter Generalverdacht.

Zur Rolle der Sachverständigen und zur Reichweite des Strafverfahrens

Im Verfahren vor dem Landgericht wurden Sachverständige gehört, die zentrale Prämissen der staatlichen Corona-Politik infrage stellten. Unabhängig davon, wie man diese Gutachten inhaltlich bewertet, wirft das Urteil die Frage auf, welchen Stellenwert solche fachlichen Kontroversen im Strafrecht haben.

Wenn über die Gefährlichkeit einer Krankheit oder die Risiken einer Impfung ernsthafte fachliche Meinungsverschiedenheiten bestehen und wenn Bürger aus Sorge vor Schäden auf diese Meinungsverschiedenheiten hinweisen, sollte die Schwelle, sie deshalb wegen Nötigung zu verurteilen, besonders hoch liegen. Strafrecht ist das stärkste Instrument des Staates. Es sollte zurückhaltend eingesetzt werden, wenn es um Wertungen politischer und wissenschaftlicher Debatten geht.

„Sanfter Druck“ auf Mandatsträger – demokratisch erlaubt oder strafbar?

Im Strafverfahren wurde offenbar auch über die Figur des „rechtfertigenden Notstands“ diskutiert: Ist es rechtlich erlaubt, mit einem gewissen Druck auf Verantwortliche einzuwirken, wenn man eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben anderer abwenden möchte?

Das Gericht hat diese Argumentation zurückgewiesen und betont, ein solcher „sanfter Druck“ könne gleichwohl als Nötigung gewertet werden. Damit entsteht eine Konstellation,

  • in der politische Entscheidungsträger weitgehend gegen warnende Hinweise aus der Bevölkerung abgeschirmt werden und
  • in der Bürger gleichzeitig ein erhebliches Strafbarkeitsrisiko tragen, wenn sie auf mögliche Folgen politischen Handelns hinweisen.

Für die kommunale Demokratie bedeutet das: Wer Mandatsträger eindringlich auf mögliche Fehler aufmerksam macht, bewegt sich schnell im Grenzbereich zur Nötigung, selbst dann, wenn keine Gewalt angedroht wird, sondern „nur“ Öffentlichkeit und spätere Verantwortung.

Was dieses Urteil für die Demokratie bedeutet

Aus Sicht von dieBasis geht es bei diesem Verfahren um mehr als um ein einzelnes Schreiben oder die persönliche Schuld der Angeklagten. Es geht um grundlegende Weichenstellungen:

  • Darf politische Kritik an Mandatsträgern kriminalisiert werden, wenn sie deutlich formuliert ist und auf Verantwortung hinweist?
  • Wie weit reicht das Recht der Bürger, ihre gewählten Vertreter mit Nachdruck zum Umdenken aufzufordern?
  • Welche Rolle sollen offene Briefe, Petitionen und Initiativen künftig spielen, wenn sie leicht als Nötigungsversuch ausgelegt werden können?

Eine Demokratie lebt davon, dass Bürger auch unbequeme Fragen stellen und Fehlentwicklungen ansprechen dürfen. Wo strafrechtliche Grenzen notwendig sind – etwa bei Gewaltandrohung oder gezielter Einschüchterung – müssen sie klar definiert und eng gezogen werden. Werden sie zu weit gefasst, droht aus dem Schutz der Demokratie ein Instrument zu werden, das engagierte Bürger zum Schweigen bringt.

Die Partei dieBasis setzt sich deshalb dafür ein, dass der Umgang mit politischen Appellen und offenen Briefen sorgfältig überprüft wird und dass das Strafrecht nicht zur Waffe gegen legitime Kritik wird, sondern als letztes Mittel in eindeutig rechtswidrigen Fällen reserviert bleibt.

  1. https://www.noz.de/lokales/osnabrueck/artikel/osnabrueck-basis-vor stand-wegen-versuchter-noetigung-verurteilt-49541139 ↩︎
  2. Offener Brief an die Mandatsträger Stadtrat Osnabrück und Kreistag vom 21.02.2022 – dieBasis Kreisverband Stadt und Land Osnabrück ↩︎