Am 1. Juni wird in vielen Ländern der „Internationale Kindertag“ begangen. Ein geeigneter Anlass, einmal darüber nachzudenken, was Kinder wirklich brauchen. Was sind ihre tatsächlichen Bedürfnisse – und was ist nur realitätsfremde Ideologie? Wie werden Kinder zu emotional und sozial kompetenten und glücklichen Erwachsenen? Sind Kinder in staatlicher Obhut wirklich besser aufgehoben als bei ihren Eltern? Ein Plädoyer für einen „artgerechten“ Umgang mit unseren Kindern und die Aufdeckung destruktiver politischer Ambitionen
von Hans U. P. Tolzin
Wer hat Angst vor Eva Hermann?
Manchmal schäme ich mich für etwas, was ich getan oder unterlassen habe. Nämlich dann, wenn mein Handeln nicht mit meinen eigenen Ansprüchen und Werten übereingestimmt hat. Solche Gefühle sind dann immer ein guter Anlass, geistig einen Schritt zurückzutreten und etwas zu ändern.
Und dann gibt es noch das Fremdschämen. In Vorbereitung auf diesen Artikel habe ich mir nach Jahren noch einmal den Videomitschnitt der ZDF-Talkshow „Johannes Kerner“ aus dem Jahr 2007 mit Eva Hermann angeschaut.
Eva Hermann, ehemals deutschlandweit bekanntes Gesicht der tagesschau, vertritt in ihrem Buch – und in dieser Talkrunde – traditionelle familiäre Werte und betont die Bedeutung des Mutterseins für die ersten Entwicklungsjahre eines Kindes.
Als sie sich schließlich auf die Forschungsergebnisse der Bindungspsychologie bezieht, eskaliert das Gespräch: Die bekannte Schauspielerin Senta Berger, die ich bis dahin eigentlich sehr mochte, erklärt doch tatsächlich, dass sie diese Diskussion jetzt nicht mehr aushält und die Sendung verlassen wird, wenn man nicht das Thema wechselt. Daraufhin wirft Johannes Kerner Eva Hermann aus der Sendung – und Senta Berger kann somit bleiben.
Fremdgeschämt habe ich mich nicht etwa für Eva Hermann, sondern für Johannes Kerner und Senta Berger. In dieser Sendung war es ganz offensichtlich darum gegangen, Eva Hermann als einflussreiche Influencerin über ein öffentliches „Tribunal“ zu neutralisieren.
Aus irgendeinem Grund scheinen die Werte, die in der besagten Sendung von Eva Hermann sehr kompetent und glaubwürdig vertreten wurden, aus Sicht der öffentlich-rechtlichen Intendanten eine Gefahr darzustellen. Doch hinter den Intendanten stehen bekanntlich die im Bundestag vertretenen Altparteien. Wovor haben sie eigentlich Angst?
Müssen Kinder vor ihren Eltern gerettet werden?
Seit der deutschen Wiedervereinigung scheint sich die Tendenz zu beschleunigen, die Familie als den natürlichen Rahmen für die kindliche Entwicklung zu demontieren und die Erziehung mehr und mehr „dem Staat“ zu überlassen, wer auch immer das konkret sein mag.
Da gibt es Bestrebungen, die Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Ob es hier wirklich um das Wohl der Kinder geht, ist meine ernstgemeinte Frage. Es ist ein regelrechter Feldzug gegen die Familie als zentrale Institution innerhalb der Gesellschaft.
Gleichzeitig geht es um eine neue Beliebigkeit der Geschlechter und der Sexualität. Das darf ja unter Erwachsenen gerne sein und gehört, solange die Beziehung auf mündiger Einwilligung beruht, zu den Grundrechten der Betroffenen.
Auch die Einstellung von Pädophilen und Genderpredigern, dass die Frühsexualisierung von Kindern ein Ausdruck von „Liebe“ ist, gehört in den Bereich der freien Meinungsäußerung.
Die entsprechende Handlung tut das jedoch nicht. Sie ist zu Recht strafbewehrt. Ich hoffe, das bleibt auch so, denn ich glaube, dass Pädophile nicht aus Liebe handeln, sondern aus einem Mangel heraus und dass sie sich insbesondere solche Kinder suchen, die aufgrund ihrer eigenen ungestillten Sehnsucht nach echter (!) Liebe manipulierbar sind.
Doch es gibt natürlich noch weitere Themen: Dürfen Jugendämter Kinder aus den Familien holen, wenn Eltern z. B. ihre Kinder zuhause selbst unterrichten wollen, wenn sie ihre Kinder impffrei aufziehen wollen oder wenn sie Frühsexualisierung in Kita und Schule verweigern?
Dürfen sie dies als „Vernachlässigung“ werten und diese Kinder mit Polizeieinsatz in staatliche oder private Obhut stecken? Da ist übrigens auch nicht immer reine Nächstenliebe oder professionelles Verantwortungsbewusstsein im Spiel: Im Internet finden sich zahlreiche Beispiele von mafiösen Strukturen in Landkreisen und Kommunen, die einen finanziell durchaus lukrativen privaten Betreuungsmarkt beliefern.
Doch auch dort, wo solches nicht zutrifft, scheinen diejenigen, die der Ideologie der Beliebigkeit folgen, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Dass ein Großteil der Familien unserer Gesellschaft „dysfunktional“ ist, also Kindern nicht die nährende emotionale Umgebung geben kann, die sie eigentlich benötigen, muss jedem klar sein, der unter die saubere Oberfläche unserer Gesellschaft schaut.
Warum aber dann gleich die Familie als solche vernichten? Müsste man nicht ganz im Gegenteil viel mehr Energie darauf verwenden, Eltern in ihrem Elternsein besser zu unterstützen?
Eine der notwendigen Maßnahmen könnte sein, Mütter finanziell soweit zu entlasten, dass sie sich ihrem Kind für die ersten drei oder vier Jahre voll und ganz widmen und nicht nur ihre physischen, sondern auch emotionalen Bedürfnisse stillen zu können. Eva Hermann brachte in der Sendung das Beispiel, dass man statt monatlich tausend Euro in einen Kitaplatz zu investieren, dieses Geld auch den Müttern geben könnte.
Das Bedürfnis nach Bindung
Aber was sind denn nun die emotionalen Bedürfnisse eines Neugeborenen, Säuglings und Kleinkindes? Das Neugeborene hält sich zunächst für den Mittelpunkt des Universums. Man nennt das auch „märchenhaftes Denken“. Sämtliche Signale seines Umfeldes bezieht es auf sich selbst. Das scheint eine Voraussetzung für die Entwicklung der Persönlichkeit zu sein, doch das hat leider auch einen Haken.
Solange die Signale der Erwachsenen positiv, bestätigend, liebevoll und zärtlich sind, kann sich Stück für Stück das ganze Potenzial dieses neuen Menschen zeigen. Sind die Signale jedoch stattdessen negativ, hart, mit Bedingungen versehen, zurückweisend oder gar voller Abscheu, erzeugt das Angst, Scham, Schuldgefühle und einen diffusen seelischen Schmerz. Statt bestätigt zu bekommen, unbedingt liebenswert zu sein, muss sich der kleine Mensch mit diesem Schmerz auseinandersetzen und sich fragen, was zum Henker hier eigentlich los ist.
Wie wir mit diesem Schmerz umgehen, entscheidet darüber, in welche Richtung wir uns entwickeln. Da der Überlebensinstinkt auch im Säugling und Kleinkind eine enorme Kraft hat, beginnt es unbewusst damit, den ansonsten lebensbedrohenden Schmerz zu verdrängen. Es entwickelt Denk-, Gefühls- und Verhaltensmuster, um zum einen den Schmerz in Schach zu halten und zum anderen nach Ersatz für die positive emotionale Spiegelung zu suchen, die in der Kindheit gefehlt hat.
Gibt es im Umfeld des Kindes jedoch wenigstens eine Person, die Empathie, Verständnis und Wärme vermittelt, kann dies die Entfremdung von sich selbst abschwächen oder sogar verhindern.
Kleine Kinder sind von Natur aus so offen, wie wir Erwachsene es uns inzwischen gar nicht mehr vorstellen können. Das muss auch so sein, denn dadurch kann im Falle von emotional nährenden Bezugspersonen das entstehen, was die Psychologie eine „Bindung“ nennt: Eine emotionale Bindung bedeutet ein hundertprozentiges Vertrauen in eine andere Person. Es bedeutet, in Gegenwart dieser anderen Person zu hundert Prozent wahrhaftig sein zu können, inklusive allen innewohnenden Schwächen und Fehlern.
Ich denke, das kann man „Liebe“ nennen. Dagegen kann keine Beziehung, in der Masken getragen werden und keine emotionale Wahrhaftigkeit vorliegt, auf „Liebe“ basieren.
Ein grundlegendes Bedürfnis von Kindern ist es also, mit ihren Bezugspersonen emotionale Bindungen einzugehen. Das sind natürlich in erster Linie die physischen Eltern und nicht der Sozialarbeiter oder Mitarbeiter des Jugendamtes oder die Kita- oder Heimleiterin oder der pädophile Nachbar oder Politiker.
Und wenn ein Erwachsener behauptet, das Ausleben von Sexualität mit Kindern habe etwas mit „Liebe“ zu tun, erliegt er zunächst einmal einer gefährlichen Selbsttäuschung. Er sollte sich erst einmal seinem eigenen emotionalen Schmerz der verpassten Bindung stellen.
Begeisterung ist Dünger fürs Gehirn
Neben den physischen Bedürfnissen eines Kleinkindes nach Wärme, Nahrung und Berührung ist also das Bedürfnis nach Bindung von zentraler Bedeutung, damit aus ihm einmal ein ausgeglichener und zufriedener Erwachsener werden kann.
Nicht wirklich separat von diesem Bedürfnis ist der unbändige Spieldrang eines jeden Kindes zu betrachten. Vom ersten Tag seiner Existenz an erforscht es im Rahmen seiner Möglichkeiten sich selbst und sein Umfeld.
Nun ja, soweit wir Erwachsene dies zulassen.
Wenn Kinder ungestört spielen, sind sie in der Regel hoch konzentriert und zeigen zuweilen eine unglaubliche Ausdauer. Es gibt offenbar in jedem Kind eine Instanz, die unaufhörlich danach strebt, das eigene Potenzial und das Universum zu erforschen.
Und hier gibt uns auch die aktuelle Hirnforschung einen ganz wichtigen Fingerzeig, worauf es bei der Entwicklung eines Kindes ankommt: „Begeisterung ist wie Dünger für das Gehirn“ sagt niemand Geringeres als Prof. Dr. Gerald Hüther. Wenn Kinder spielen, folgen sie ihrer Begeisterung. Lassen wir sie in ihrem Tempo und in ihrer eigenen Reihenfolge und mit ihren eigenen Schwerpunkten lernen, entwickeln sie sich am besten. Sie brauchen keine festen Lernpläne von uns, sondern „nur“ unsere wohlwollende Unterstützung darin, ihrem eigenen Weg des spielerischen Lernens zu folgen.
Und das Spielen hört ja nicht auf. Oder was ist ein „Hobby“ eines Erwachsenen anderes als die Fortsetzung des Spiels? Wie würde wohl unsere Gesellschaft aussehen, wenn jeder Mensch sein Hobby zu seinem Beruf machen könnte, getragen von seiner niemals versiegenden Begeisterungsfähigkeit?
Ich würde sogar soweit gehen zu sagen, dass „Spielen“ der wahre Sinn des Lebens ist, nämlich unaufhörlich das eigene Potenzial und die Welt immer wieder neu und der Begeisterung folgend zu erkunden.
Bis zum Tod und wer weiß, vielleicht auch darüber hinaus.
Und wie ist das mit der Liebe?
Die Liebe fließt, wenn wir es Kindern erlauben, mit uns Erwachsenen eine emotionale Bindung einzugehen. Das ist meines Erachtens die beste Voraussetzung, dass später einmal die Liebe auf Augenhöhe zwischen Lebenspartnern, danach zu den eigenen Kindern und noch eine Weile später zu den Enkeln fließen kann.
In jedem Menschen, der auf unserem Planeten geboren wird, sind emotionale Grundbedürfnisse eingepflanzt, eine Art unbeirrbarer Wegweiser, der zur Fülle und zur Erfüllung führt. Sind diese Grundbedürfnisse gestillt, ist also das „ich“ gesättigt, hat dieses „ich“ keinerlei Problem damit, ein wohlwollendes „Du“ zu entwickeln. Ganz im Gegenteil, jedes neue „Du“ stellt dann sogar eine Bereicherung dar, gewissermaßen einen neuen Aspekt eines unendlichen Universums, das es neugierig zu erforschen gilt.
Und wurden die eigenen Grenzen des Kindes von seinen erwachsenen Bezugspersonen respektiert, dann fällt es diesem Kind später auch leicht, emphatisch die Grenzen des Anderen zu respektieren. So ein Erwachsener braucht dann möglicherweise sogar keine Gesetze und keinen Staat mehr, der ihm seine Grenzen setzt.
Wie müsste Familienpolitik also aussehen?
Das, was Kinder also wirklich brauchen, ist eine gesunde emotionale Bindung zu ihren direkten Bezugspersonen und die Freiheit, sich spielerisch und ihrer Begeisterung folgend zu entfalten.
Was sie nicht brauchen, sind Kinderrechte im Grundgesetz und staatliche Eingriffe. Ausnahmen mögen zwar auch hier die Regel bestätigen, aber nur dann, wenn sie auch sehr sorgfältig abgewogene Ausnahmen bleiben.
Was außerdem niemand braucht, sind Erwachsene, die ihre eigenen ungelösten emotionalen Muster an Kindern ausagieren. Was Familienpolitik demnach leisten muss:
- Die wahren emotionalen Grundbedürfnisse von Kindern verstehen
- Dieses Verständnis den Familien unserer Gesellschaft anbieten
- Reichhaltige Angebote für Familien, die helfen, eigene emotionale „Altlasten“ abzubauen und den Kindern mehr und mehr das zu geben, was sie wirklich brauchen
- Schutz der Kinder vor der Bedürftigkeit mancher Erwachsener, die diese Bedürftigkeit nicht reflektieren können oder wollen.
Ob „Familie“ immer nur aus den natürlichen Eltern bestehen sollte, weiß ich nicht. Früher gab es die Großfamilie und diese hat auch einige Vorteile. Aus meiner Sicht spricht nichts dagegen, mit Gleichgesinnten in einer Art neuer Großfamilie in Gemeinschaft zu leben, solange man wahrhaftig miteinander umgeht, Konflikte nutzt, um daran zu wachsen und auf die Bedürfnisse der Kinder achtet. Oder anders gesagt: Solange die Liebe fließt.
Da in den nächsten Jahren möglicherweise die staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen um uns herum unter ihrer eigenen Last zusammenbrechen werden, könnten solche Gemeinschaften sogar noch einmal sehr wichtig werden.
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