Entsteht in der Ukraine die Staatsform eines omnifeudalen oder ultrapekuniären Staates?

ein Kommentar von Dietmar Ferger

Öffentlich-Private Partnerschaften im kapitalistischen Staat

Im Kapitalismus wird der Begriff der Demokratie schon sehr strapaziert, aber immerhin haben die Menschen die Möglichkeit, ihre Regierung und damit auch die Ausrichtung des Staates bestimmen zu können – auch wenn diese Möglichkeit der demokratischen Einflussnahme und Mitbestimmung der Bevölkerung nach der Aussage Horst Seehofers 2010 (Diejenigen, die entscheiden, sind nicht gewählt, und diejenigen, die gewählt werden, haben nichts zu entscheiden) in unserem kapitalistischen System nicht umfassend ist.

Eine der beliebtesten Methode des Kapitals, in und an einem kapitalistischen Staat zu verdienen und sich auf Kosten der Bürger zu vermehren, ist die sog. „Public Private Partnership“ (oder deutsch: ÖPP – öffentlich-private Partnerschaft), also die Übernahme einzelner staatlicher Projekte – vor allem in der Infrastruktur – durch Großkonzerne. Für ÖPP-Projekte gibt es unterschiedliche Modelle, von einer gemeinsamen Betriebsgesellschaft (wie z.B. das Museum Folkwang in Essen) bis zu Betreibermodellen z.B. bei verschiedenen Autobahnabschnitten oder dem Projekt „Toll Collect“ zur Erhebung der Autobahnmaut. Weitere deutsche ÖPP-Projekte sind z.B. die Elbphilharmonie in Hamburg, die – inzwischen wieder mit hohen Kosten rückabgewickelte – Privatisierung der Wasserversorgung Berlins (durch die der Wasserpreis um ca. 30 % anstieg) etc. Schon 2011 stellte der Bundesrechnungshof gemeinsam mit den Rechnungshöfen der Bundesländer fest, dass ÖPP-Projekte in den meisten Fällen in der Gesamtschau für die Bürger und den Staat nicht wirtschaftlicher sind als vergleichbare Projekte, die in der direkten Regie der öffentlichen Hand durchgeführt wurden. (https://lrh.sachsen-anhalt.de/fileadmin/Bibliothek/LRH/Aktuelles/Gemeinsamer_20Erfahrungsbericht_20zur_20Wirtschaftlichkeit_20von_20_D6PP-Projekten.pdf)

Trotzdem werden ÖPP-Projekte in den kapitalistischen Ländern weiter vorangetrieben und von mehr oder weniger korrupten oder hilflosen Politikern durchgeführt.

Viele Bündel mit Geldscheinen
Ein Land als ÖPP-Projekt?

Der ukrainische Präsident Zeleskyy konferierte am 28. Dezember mit Larry Fink, dem CEO von BlackRock, dem weltweit größten Vermögensverwalter und Großaktionär der meisten globalen Großkonzerne. Im offiziellen Statement der ukrainischen Regierung heißt es:

Gemäß den vorläufigen Vereinbarungen, die Anfang des Jahres zwischen dem Staatschef und Larry Fink getroffen wurden, arbeitet das BlackRock-Team seit mehreren Monaten an einem Projekt zur Beratung der ukrainischen Regierung bei der Strukturierung der Wiederaufbaufonds des Landes. Volodymyr Zelenskyy und Larry Fink kamen überein, sich in nächster Zeit auf die Koordinierung der Bemühungen aller potenziellen Investoren und Teilnehmer am Wiederaufbau unseres Landes zu konzentrieren und die Investitionen in die wichtigsten und wirkungsvollsten Sektoren der ukrainischen Wirtschaft zu lenken.“

https://www.president.gov.ua/en/news/prezident-obgovoriv-z-generalnim-direktorom-blackrock-koordi-80105

Es ist richtig, dass sich auch andere Regierungen von Unternehmen beraten lassen. Dies sind aber in der Regel Beratungsunternehmen wie Ernst & Young (www.ey.com) oder PricewaterhouseCoopers (www.pwc.com), oder (Groß)Unternehmen, die in entsprechenden Ministerium auf fachlicher Ebene ihre Expertise einbringen (und dort auch die Interessen des entsendenden Unternehmens einzubringen …). In der Ukraine sind es aber nicht Beratungsunternehmen oder Mitarbeiter von Unternehmen, die in Ministerien ihre Expertise einfließen lassen, sondern BlackRock als Vertreter des internationalen anonymen Kapitals, das auf oberster Regierungsebene über viele Monate hinweg systematisch die langfristige Wirtschafts- und Investitionsplanung dieses Landes plant und koordiniert. Dies stellt eine völlig neue Dimension der Politik-Beeinflussung durch das Kapital dar, was sich auch daran zeigt, dass sich BlackRock CEO Larry Fink persönlich darum kümmert und mit dem Präsidenten darüber konferiert.

Es zeichnet sich also ab, dass aus dem Staat Ukraine ein gewaltiges ÖPP-Projekt wird, in dem die globalen Großkonzerne – gebündelt durch ihren Großaktionär BlackRock – die Infrastruktur des Landes wiederaufbauen, dafür aber natürlich eine entsprechende Rendite erwarten. Es sind also nicht mehr nur einzelne Gebäude oder Infrastrukturprojekte, sondern ein ganzes Land, das unter die Regie US-amerikanischer Großkonzerne kommt.

Dabei sind die US-amerikanischen Großkonzerne wie Monsanto (heute Teil von Bayer, dessen Aktionäre aber auch vor allem US-amerikanisch sind), DuPont und Cargill schon seit der mit vielen US-Steuermilliarden erkauften Maidan-Revolution (https://www.heise.de/tp/features/Demokratisierung-ist-eher-ein-Kollateralnutzen-3366590.html) in der Ukraine aktiv, wie dieser Bericht aus der ZEIT von 2015 beschreibt (https://www.zeit.de/wirtschaft/2015-03/ukraine-landwirtschaft-schwarzerde-monsanto/komplettansicht). Aktuell sind laut der Datenbank des Leibniz-Instituts für Globale und Regionale Studien „The Land Matrix“ (https://landmatrix.org) knapp 3,4 Millionen der ca. 33 Millionen Hektar ukrainisches Ackerland in ausländischer Hand, also etwas mehr als 10%. Die Flächen sind vor allem gepachtet, da bis 2024 in der Ukraine noch ein Verbot des Landverkaufs an direkte ausländische Investoren gilt. Wenn sich Cargill, Monsanto & Co aber an ukrainischen Unternehmen beteiligen, gelten sie nicht mehr als „ausländisch“, und es bleibt abzuwarten, wie sich die Situation nach dem Ende des Verkaufsverbotes entwickelt. Dabei investieren die Großkonzerne weiter, so übernahm beispielsweise Cargill im Juli 2021 die Mehrheit an der Betreibergesellschaft des Tiefseehafens Port Pivdennyi östlich von Odessa. (https://www.cargill.com/2021/cargill-becomes-majority-shareholder-of-its-joint-venture).

Moderne Leibeigenschaft?

In den feudalen Gesellschaften des Mittelalters war es üblich, dass die Könige, Fürsten und Adligen ihre Ländereien und Besitztümer mitsamt den dort lebenden und arbeitenden Menschen als ihren Besitz ansahen. Dieser Besitzanspruch leitet sich ursprünglich her von dem Anspruch des Kaisers, der weltliche Stellvertreter Gottes auf Erden zu sein – deshalb hieß es ja beispielsweise auch „heiliges römisches Reich deutscher Nationen“, das Wort „heilig“ diente hier der Legitimierung. Als Stellvertreter Gottes konnte er über das Land und die dort lebenden Menschen verfügen und sie den ihn unterstützenden Fürsten und Adligen als dauerhaften Besitz übergeben. Auch die ausgedehnten Besitztümer der Klöster und Kirchen haben ihren Ursprung in diesem Anspruch der Stellvertreterschaft Gottes. Letztendlich lässt sich jeder Anspruch eines Menschen, persönliches Eigentum an einem Stück Land zu besitzen, auf diesen geschichtlichen Zusammenhang zurückführen. „Heidnische“ Völker wie beispielsweise die Germanen kannten kein Privateigentum an Grund und Boden, in China ist Privatbesitz von Grund und Boden heute (noch) nicht möglich.

In der Ukraine zeichnet sich jetzt also eine neue Staatsform ab, in dem der Staat als Gesamtheit, mit allen seinen Bürgern, eine „Partnerschaft“ mit dem globalen Kapital eingeht und diesem substantiellen Einfluss auf die Organisation nicht nur der Wirtschaft, sondern der gesamten Gesellschaft ermöglicht, ohne dass die Menschen das Recht und die Möglichkeit haben werden, den Einfluss des Kapitals einzuschränken, da es sich ja Eigentumsrechte, Konzessionen und Gewinnbeteiligungen an allen staatlichen Einnahmen sichern wird als Belohnung für seine Investitionen und „Beratungsleistungen“.

Es mag richtig sein, dass auch andere Staaten umfangreiche Entwicklungs(hilfe)abkommen mit anderen Ländern abgeschlossen haben, aber eben nicht mit einem „Dachverband der multinationalen Großkonzerne“, als der BlackRock auch betrachtet werden kann. Wie könnte man eine solche Staatsform nennen, die sich direkt abhängig macht von dem Konglomerat des mehr oder weniger anonymen Geldes? Ist dies ein „omnifeudaler“ Staat? Ein „ultra- oder superpekuniärer“ Staat?

Die Macht des Geldes tritt hier an die Stelle dessen, was im Mittelalter der Anspruch auf die Stellvertreterschaft Gottes war. So wie damals der Kaiser, kann bald BlackRock seine Anteile an der Ukraine an seine Großkonzerne weitergeben, die Gesetzgebung für diese Großkonzerne gewinnmaximierend beeinflussen und so an jeglicher Arbeitsleistung in dem gesamten Land mitverdienen. Vergleichbar mit den mittelalterlichen Fürstenhäusern in Europa, die alle miteinander verwandt waren, sind auch die globalen Großkonzerne durch gegenseitige Beteiligungen in einem undurchschaubaren Konstrukt verbunden.

Wird die Ukraine zu einer Blaupause für den neofeudalen Ultrakapitalismus?

Die Ukraine ist auf dem besten bzw. schlechtesten Wege, der erste Staat zu werden, der vom globalen Kapital direkt (mit-)regiert wird. Dies wurde offensichtlich von langer Hand vorbereitet. Es bleibt zu beobachten, wie sich diese Staatsform entwickelt und ob sie als Blaupause dienen soll für die Übernahme weiterer Staaten, die ja zumindest in Europa gezielt in die Insolvenz getrieben werden. Wir würden die deutschen Bürger abstimmen, wenn sie vor der Wahl stünden, ein untragbar gewordenes staatliches Defizit durch einen „Lastenausgleich“ (also die Teilenteignung der Vermögenden) oder durch eine Art „Regierungsbeteiligung“ von BlackRock & Co auszugleichen?

Hier wird deutlich, wie wichtig es ist zu verhindern, dass Geld zu einer quasi-göttlichen, aber keiner Moral verpflichteten politischen Macht wird!