„Man soll die Freiheit achten und fördern“. So könnte man die erste der vier Säulen der „Basis“ umschreiben. Auch die soziale Dreigliederung hat „Freiheit“ als eines ihrer Ideale: „Freiheit im Geistesleben“. Da ist wohl eine Gemeinsamkeit? Sicher, wenn auch „Freiheit“ möglicherweise unterschiedlich verstanden wird. Ich will dazu einen zentralen Aspekt erläutern.
„Meine Freiheit hört da auf, wo die Freiheit des Anderen anfängt.“ Das ist ein Satz, den wohl zunächst jeder anerkennen würde. Ich soll mich frei ausleben dürfen. Aber jeder Andere darf das auch. Ich folge meinen Intentionen; er (sie) folgt seinen (ihren). Wo die Intentionen aufeinanderstoßen, das heißt wo sie sich widersprechen, müssen wir Rücksicht aufeinander nehmen: jeder muss sich beschränken und zurücknehmen.
Diese Denkweise geht davon aus, dass meine freie Intention notwendig der freien Intention des Anderen widerspricht. Muss das aber sein? Kann ich mir nicht aus Freiheit das Motiv des Anderen zu eigen machen? Dann würden wir beide aus demselben Motiv handeln. Und uns plötzlich in Harmonie befinden, und nicht im Widerstreit. Das ist sogar die ursprüngliche Grundlage für alle Harmonie und Einigkeit im Sozialen.
Sich selbst zurücknehmen
Dazu muss ich mir das Handlungsmotiv des Anderen bewusst machen. Ich nehme mich selbst zurück, und betrachte das Handeln des anderen mit Interesse. Warum macht er das, was er macht? Warum will ich etwas anderes? Ist nicht das, was er macht, vielleicht sogar besser als das, was ich intendiere? Und wenn ja: dann kann ich mich doch aus Freiheit entschließen, gemäß demselben Motiv zu handeln. Voilà: Einigkeit.
Die Freiheit des Anderen ist nicht mehr die Grenze meiner Freiheit, sondern beide Freiheiten decken sich, die Handlungsmotive fallen in eins zusammen, sie sind vollkommen in Harmonie.
Um das zu erreichen muss ich bereit sein, mich selbst in Frage zu stellen. Warum willst Du das tun, was Du tun willst? Handelst Du wirklich aus Freiheit? Musst Du das tun, oder könntest Du auch anders?
Leben und leben lassen
Natürlich wird man nicht immer das Motiv des Anderen anerkennen können. Aber wenn man meint, dass er sich irrt, so ist es „freiheitlicher“ sich zu überlegen, wie man ihm das klarmachen kann, als ihn „machtmäßig“ zu bekämpfen. Oder man kann auch aus „Freiheit“ – an dieser Stelle heißt das jetzt aus „Einsicht in die Notwendigkeit“ – hinnehmen, was man zunächst nicht ändern kann.
Die Freiheit des Anderen muss nur dann für mich eine Grenze sein, wenn ich nicht bereit bin, mit Interesse auf ihn zuzugehen. (Vielleicht auch, weil ich mich selbst wichtig nehme).
„Leben in der Liebe zum Handeln, und leben lassen im Verständnisse des fremden Wollens“ – so formuliert Rudolf Steiner die „Maxime des freien Geistes“. Man wirkt erst fruchtbar im Sozialen, wenn man bereit ist, an sich selber zu arbeiten.
Nicholas Dodwell