Scheindebatten, politische Blender und ihre Wahlhelfer

Von Otto Bürger

In Bremen wird im Mai nächsten Jahres die neue Bürgerschaft (Landtag) gewählt. Parteien und Mandatsträger beginnen allmählich, sich wieder der Bürger und Wähler bewusst zu werden. Es ist also Zeit, sich öffentlichkeitswirksam zurückzumelden und in Erinnerung zu rufen. Dafür beteiligen sich die Mandatsträger, die natürlich wiedergewählt werden möchten, gern an Scheindebatten, die dann medial aufgebauscht werden. Interessant deshalb und im Grunde wirklich beschämend für die Zunft ist, wie die Medien, insbesondere die gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Medien, hier mitspielen. Randthemen werden medial lang und breit berichtet, und vordergründig werden dabei die Interessen des politischen Klientels, welches erreicht werden soll, bedient. Aber eben nur vordergründig, und die Gefahr besteht, dass der Eine oder Andere darauf hereinfällt. Das gilt umso mehr, weil das medial unkritische Aufgreifen dieser Scheindebatten in einer Art passiert, die nicht von jedem als verdeckte Wahlkampfhilfe erkannt werden kann. Hier deshalb ein Versuch, das Zusammenspiel offenzulegen.

Beispiel 1: Die Debatte zur Übergewinnsteuer

Die SPD und der Bremer Bürgermeister Dr. Bovenschulte bringen das Thema der Übergewinnsteuer in die öffentliche Debatte und letzterer in seiner Funktion als Landeschef auch in den Bundesrat ein, um hier die gewünschte mediale Wirkung und Aufmerksamkeit zu seinen Gunsten zu erwirken. Das Thema wird von den Medien überaus wohlwollend aufgenommen. Nicht nur Radio Bremen, sondern auch ARD und ZDF und andere überregionale Medien nehmen sich der Sache an. Aufgebläht und unterstützt wird die Scheindebatte von SPD-Bundespolitikern, die ebenfalls gerne in diese ziellose, aber vordergründig das Gute wollende Debatte einsteigen. Auch der emeritierte Professor für Finanzwirtschaft Rudolf Hickel springt dem Bremer Bürgermeister zur Seite, indem er einen Bovenschulte-Effekte in völlig plumper Weise und völlig faktenfrei im Bremer Regionalfernsehen herbei argumentiert. Kritische Nachfrage: Fehlanzeige. Dabei verläuft die Diskussion völlig im Sinnfreien.

Hier wird ein Randthema medial aufgebläht und der Elefant im Raum verschwiegen. Wir befinden uns am Ende des bestehenden Geldsystems. Die Zentralbanken sind am Ende der lockeren Geldpolitik angekommen. Die US-Zentralbank erhöht die Zinsen und setzt somit die EZB und andere Zentralbanken massiv unter Druck. Höhere Zinsen führen bei der Extremverschuldung nahezu aller Länder zum Kollaps des Finanzsystems. Selbst der Bundesrechnungshof scheint alarmiert und spricht von 90 Prozent des Bundeshaushalts, der bereits fest verplant sei. Damit gibt es kaum noch Handlungsspielraum, und bei steigenden Zinsen ist es schnell endgültig vorbei. Die Sanktionspolitik gegen Russland und die nicht diskutierte vorschnelle, einseitige Parteinahme für die Ukraine, verbunden mit den dadurch explodierenden Energiepreisen für Gas und Strom, wirkt da wie ein Brandbeschleuniger. All das wird von den Medien nicht thematisiert oder hinterfragt. Lieber berichtet man über eine Scheindebatte zur Übergewinnsteuer, um damit vordergründig und sträflich vorbei an den wirklich drängenden Problemen die Gemüter der verbliebenen oder zweifelnden SPD-Wähler zu streicheln.

Beispiel 2: Energiepreisdeckel

Das Bild zeigt die vier Bremer Stadtmusikanten vor einem historischen Backsteingebaeude in der Altstadt

In die gleiche Richtung zielt der von Herrn Bovenschulte geforderte Energiepreisdeckel – nämlich ins Leere. Die verantwortlichen Politiker verursachen mit ihrer Sanktionspolitik gegenüber Russland eine Preisexplosion für Energie von nie gekanntem Ausmaß und steuern so bewusst und sehenden Auges auf eine finanzielle Katastrophe für viele Menschen und Unternehmen in diesem Land zu. Dann geben dieselben Politiker medial bestens inszeniert den sorgenvollen und sich kümmernden Kanzler oder Landesvater. Am Beispiel von Olaf Scholz ist das bereits in diesem Artikel herausgearbeitet worden. Was die Bremer Landespolitik konstruktiv unternehmen könnte, hat der Landesverband von dieBasis Bremen klar und deutlich in der abgegebenen Presseerklärung zu dem Thema vorgetragen.

Die Verantwortlichen inszenieren sich hier wie der Feuerwehrmann, der den Brand selbst gelegt hat, um dann als Held bei den Löscharbeiten gefeiert zu werden. Der Effekt ist hier wie da der gleiche: Das Haus ist abgebrannt, der horrende Schaden ist da, aber die Menschen sind medial geblendet und erkennen die wahren Hintergründe und Zusammenhänge nicht. Die Bürger sollten doch zumindest merken, dass die Wohltaten, die die Politiker hier großzügig verteilen, ihnen selbst aus der Tasche gezogen werden und dass sie die Rechnung so oder so zahlen müssen.

Beispiel 3: Fadenscheiniger Appell

Pünktlich zum Antikriegstag am 1. September wird von einer sozialdemokratischen B-Mannschaft mit starker Bremer Beteiligung die nächste Nebelkerze gezündet. Der Aufruf: „Die Waffen müssen schweigen“. Mit diesem halbherzigen und vielfach schwammigen Aufruf wird wieder mehr oder weniger elegant das zentrale Thema umschifft. Was ist das zentrale Thema? Die SPD und die Grünen als maßgebliche Regierungsparteien machen Deutschland zur Kriegspartei. Das ist unverantwortlich. Auf dem Bremer Rathaus und an der Bürgerschaft weht die Ukraine-Fahne, deutsche Waffenschmieden liefern Waffen in diesen Krieg, und Deutschland sanktioniert Russland. Mit all diesen von den beiden Parteien in Regierungsverantwortung getragenen Entscheidungen sind wir, Deutschland, Kriegspartei und stehen an der Seite der Ukraine im Krieg gegen Russland. Damit ist der Appell, der zudem lediglich von Teilen der SPD getragen wird, extrem unglaubwürdig und nicht geeignet, in Sachen Frieden irgendwie weiterzuhelfen.

Der halbherzige und wohl im Kern auch kaum ernst gemeinte Aufruf unterstreicht sogar noch die einseitige Parteinahme für die Ukraine gegen Russland. Wer für Frieden und Vermittlung steht, darf den Krieg nicht durch einseitige Unterstützung anheizen. Es ist sehr offensichtlich, dass der Appell wiederum nur an die verbliebenen friedensbewegten Sozialdemokraten gerichtet ist, damit diese der Partei weiter die Treue halten. Auffallend war für mich, dass der ehemalige Bremer Bürgermeister Sieling den mehr als schwachen Appell im Bremer Regionalfernsehen selbst nur mit zitternder Stimme vertreten konnte und er sich in dem wohlwollend gemachten Beitrag des Gebührensenders sichtbar unwohl fühlte.

Beispiel 4: Diskussion um das 9-Euro-Ticket

Als weitere Ablenkungsdebatte kann man die Diskussion um das 9-Euro-Ticket ansehen. Damit darf Dr. Maike Schäfer, Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau sowie Bürgermeisterin der Freien Hansestadt Bremen, sich in Szene setzen. Am 06.08. und am 29.08. dieses Jahres hat es die doch eher unbedeutende Senatorin des kleinsten Bundeslandes als amtierende Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz – gutes Timing! – mit diesem absoluten Randthema sogar in die Tagesschau geschafft. Hier wird das Thema sehr wohlwollend aufgegriffen. Kein kritisches Hinterfragen zur Finanzierung, keine Frage zur Konkurrenz bestehender Preisaktionen der Bahn wie zum Beispiel dem Niedersachsenticket. Kein Hinterfragen, wieso von politischer Seite in die Preispolitik der Unternehmen eingegriffen wird, wo man doch gerade durch die Privatisierung von der staatlichen Lenkung weg wollte und Privatisierung immer als Segen gefeiert hat.  Auch keine Frage zur sonstigen Situation bei der Bahn.

Wer nur einmal mit dem Zug unterwegs ist, weiß, dass kein Zug mehr pünktlich kommt, ganze Züge sogar komplett entfallen und die Privatisierung die Probleme eher deutlich verschärft hat. Keine Frage auch zu anderen verkehrspolitischen Themen, wie zum Beispiel den Brückensanierungen, oder gar einem verkehrspolitischen Gesamtkonzept. Stattdessen wird in aller epischen Breite über dieses unbedeutende Detailthema berichtet.

Diese völlig unkritische Berichterstattung ist einmal mehr ein Beispiel für eine mediale Ablenkung zugunsten von konzeptlosen Bundespolitikern und kann zudem nur als mediale Wahlhilfe für eine an sich unbedeutende Senatorin Dr. Schaefer zur anstehende Bürgerschaftswahl in Bremen gesehen werden.

Das sind vier Beispiele, und sicher gibt es viele mehr. Ich kann an dieser Stelle nur ermuntern, kritisch die öffentliche Berichterstattung zu beobachten, denn in den Medien passiert, wie in der Politik, nichts zufällig. Wir sehen leider häufig nur das, was die Medien ins Rampenlicht stellen, und streiten dann über Randthemen. Die Dinge und die Akteure im medialen Dunkeln sehen wir dagegen häufig nicht. Viele Meldungen sollen uns nur in Aufregung versetzen und durch Scheindebatten von den für uns wichtigen Kernthemen ablenken. Uns bleibt, die Strukturen zu erkennen und darauf in Diskussionen immer wieder hinzuweisen.

„Wenn die Menschen, die sich in diesem System nicht fügen, weiter laut bleiben, werden sie Erfolg haben“, ermuntert uns nachdrücklich der belgische Professor für klinische Psychologie Matthias Desmet. Es hilft ab und an, sich selbst die Frage zu stellen, was für mich gerade wichtig ist. Erfüllt das von uns bezahlte politische Personal gerade seine Aufgaben? Genau die Frage gilt es auch gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu stellen. Schlimm und immer durchsichtiger ist das Zusammenspiel der von uns über Gebühren finanzierten Medien und den zur Wahl stehenden Mandatsträgern. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist gerade wegen der Vorgänge beim RBB heftig in der Kritik. Zu Recht! Als besonderer Skandal muss aber gelten, dass, anstatt die Mandatsträger und ihre Aussagen kritisch zu hinterfragen, hier geradezu wohlwollend und regelrecht wahlhelfend berichtet wird. Das scheint System zu haben und ist in Ansätzen beim NDR intern schon kritisiert worden.

Besonders wichtig ist natürlich, dass mehr und mehr Wähler erkennen, wie sie hier vordergründig mit Ablenkthemen bedient werden, und selbst anfangen, die richtigen Fragen zu stellen und sich ihrer Belange bewusst werden. Das ist ein guter Schritt zu richtiger Demokratie. Eine offene Diskussionskultur ist ein weiterer Schritt. Real erlebbar wird Demokratie dann über Beteiligung in Form der direkten Demokratie.

 

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