von Christina Kade
Eine Nachbetrachtung der Landtagswahl in Hessen, des Ergebnisses und was dieses für die Zukunft bedeuten könnte
Aktuell sind weite Teile der Welt und natürlich auch der deutschen Medien mit Israel und dem Angriff der Hamas beschäftigt. Sogar der Krieg in der Ukraine wurde durch dieses Ereignis weitgehend aus den Medien verdrängt. Natürlich ist das verständlich und die Aufmerksamkeit durchaus berechtigt. Trotzdem möchte ich mich einem anderen Ereignis vom letzten Wochenende zuwenden.
Es geht um die Landtagswahlen in Hessen und Bayern, die nur deshalb überhaupt für Schlagzeilen sorgen, weil die AfD so stark wie nie zuvor aus den Wahlen hervorging. Viele Medien geben vor, überrascht zu sein, aber wenn man ehrlich ist, war dieses Ergebnis in etwa zu erwarten. Trotzdem dürfte nun bei einigen Parteien Katerstimmung herrschen. Die Anspannung der letzten Wochen ist verflogen und einer weitgehenden Ernüchterung gewichen.
Als Mitglied und Listenkandidatin der Basisdemokratischen Partei in Hessen geht es mir jedenfalls genauso. Sicher – der Einzug ins Parlament wäre eine Sensation gewesen, doch was ich mir wirklich ausgerechnet habe, was vielleicht viele von uns wenigstens anvisiert hatten, war die wichtige Parteienfinanzierung, um bei unserer zukünftigen Arbeit entlastet zu werden.
Davon kann allerdings keine Rede sein. Die erreichten 0,5 % sind schlicht zu wenig – eine Enttäuschung. So ehrlich muss ich einfach sein. Ein Ergebnis zwischen ein und zwei Prozent schien mir nach all den unternommenen Anstrengungen durchaus realistisch.
Damit dürfte ich kaum allein dastehen. Auch bei anderen kleinen Parteien wird die harte Realität für Frustration sorgen, z. B. bei den Piraten, die sogar ein noch schlechteres Ergebnis eingefahren haben. Die PARTEI und Volt blieben knapp unter der Ein-Prozent-Marke. Die Tierschutzpartei erreicht zumindest den Sprung über diese Marke mühelos. Einziger Profiteur unter den kleinen Parteien in Hessen dürften die Freien Wähler sein, die bei ihrem Erfolg mit 3,5 % wohl kräftig aus dem bayerischen Wahlkampf Kapital schlagen konnten.
Natürlich ist das für die meisten Menschen völlig uninteressant. Die Probleme kleiner Parteien spielen für sie eine ebenso untergeordnete Rolle wie deren Wahlprogramme. Leider liegt auch darin eines der größten Probleme in unserer Demokratie. Wählerwanderung findet im Wesentlichen zwischen den großen Parteien statt, obwohl inzwischen eigentlich bekannt sein dürfte, dass die Wahlprogramme sowie die Sprüche auf den Plakaten kaum das Papier wert sind, auf dem diese gedruckt wurden. Echten Idealismus findet man dort so gut wie nie. Der ist den kleineren Parteien vorbehalten.
Ein Zyniker würde das vermutlich als politischen Alltag – als Realität – bezeichnen. Trotzdem fördert auch ein Blick auf „die großen“ oder etablierten Parteien durchaus Interessantes zutage. In den Medien wird das wichtigste Thema vermutlich auch weiterhin der Zugewinn der AfD sein. Eigentlich kaum verwunderlich, konnte diese in Bayern und in Hessen doch erhebliche Zugewinne verbuchen. Im hessischen Landtag ist sie nun tatsächlich die zweitstärkste Kraft, wenn auch sehr deutlich hinter der CDU. Dass dies in den westlichen Bundesländern passiert, versetzt die Presse natürlich in Aufregung.
So titelt die Frankfurter Rundschau, „Wer hat die Rechtspopulisten gewählt?“. In der FAZ heißt es, „Jetzt wird die AfD auch aus Überzeugung gewählt“. Die Süddeutsche meint gar:
„Deutschland rückt nach rechts“
Das alles hört sich an, als wären die Pressevertreter wirklich überrascht. Ich vermute, die meisten Bürger hingegen haben das durchaus kommen sehen. Einige werden das sogar begrüßen. Immerhin haben nahezu alle Parteien in den letzten Jahren einen starken Linksrutsch erlebt und auch ausgelebt. Dass sie dabei wichtige Themen verschlafen haben oder auf eine Weise angegangen sind, die Konservativen in die Hände spielt, ist offensichtlich.
Natürlich können die Medien sich das schön schreiben, wenn sie es denn wollen. Viele Journalisten haben in der jüngeren Vergangenheit ja unverhohlen zugegeben, Haltung sei wichtiger als Fakten. Auch dadurch wurde das Vertrauen in die Leitmedien und ihre Vertreter nachhaltig erschüttert. Kein Wunder also, dass sich hier eine Tendenz einschleicht, die Befindlichkeiten der Bevölkerung falsch zu beurteilen.
Aber eigentlich ist auch das nur ein Nebenschauplatz, weil die AfD nach wie vor in der Opposition ausharren wird. Darauf komme ich später noch einmal zurück. Die eigentliche Schlagzeile müsste lauten:
„Die Ampel verliert auf ganzer Linie“
Allen voran haben die Grünen in Bayern und noch mehr in Hessen Federn lassen müssen und die verdiente Quittung für die verfehlte Wirtschafts- und Energiepolitik von Robert Habeck bekommen. Die SPD befindet sich in Hessen weiter auf Talfahrt und rutscht in Bayern nun zunehmend der Fünf-Prozent-Hürde entgegen. Dabei dürfte auch die Politik von Innenministerin Nancy Faeser eine wichtige Rolle spielen. Zudem stieß die Kandidatur als Ministerpräsidentin bei vielen Bürgern auf Unverständnis, da sie derzeit ein Ministeramt auf Bundesebene bekleidet. Allein Letzteres dürfte die SPD in Hessen ein paar Prozente gekostet haben.
Noch beachtenswerter ist jedoch die Situation der FDP, die einmal mehr mit dem Rücken zur Wand steht. In Bayern fliegen die Liberalen nach ihrem Verlust von zwei Prozent aus dem Landtag. In Hessen verlieren sie sogar zweieinhalb Prozent und schaffen nur mühsam den Wiedereinzug. Das dürfte intern für viel Diskussionsstoff sorgen.
Auch hier sind die Gründe wahrscheinlich vor allem in der Regierungspolitik zu suchen. So konnte die FDP kaum Akzente setzen. Die wenigen Abschwächungen in der – von den meisten Menschen gefühlt – hauptsächlich grün orientierten Politik gehen dabei bestenfalls als Symbolik durch, werden meist jedoch kaum wahrgenommen. Die Liberalen sind zweifellos der größte Verlierer der Ampelkoalition, auch wenn andere Parteien deutlich mehr Prozente eingebüßt haben.
Eigentlich hat die FDP überhaupt nur eine Chance, wenn sie bei künftigen Wahlen punkten möchte. Dabei spielt die Ebene – abgesehen von der kommunalen, für die andere Regeln gelten – kaum eine Rolle. Diese Chance besteht darin, die Ampelkoalition zum richtigen Zeitpunkt zu sprengen. Und obwohl die FDP uns allen einigermaßen unwichtig erscheint, hat sie dieses eine Ass noch immer im Ärmel.
Ein Grund für einen solchen Bruch wäre, dass Erfolge der Ampel eigentlich kaum als Erfolge der FDP gelten, sondern mehrheitlich vor allem den Grünen zugeschrieben werden, denen ihre überdurchschnittliche Medienpräsenz hier zugutekommt. Selbst die SPD wirkt im Verhältnis dazu eher blass. Missstände in der Regierung werden hingegen häufig der FDP zur Last gelegt, weil sie mit mehr Nachdruck hätte intervenieren müssen, um gegenzusteuern.
Der Zeitpunkt für einen solchen Koalitionsbruch will allerdings klug gewählt sein, wenn die FDP auch davon profitieren möchte. So muss die FDP für eine Position zu einem Thema, das die entsprechende Verwerfung verursacht, eine breite Unterstützung in der Bevölkerung haben und natürlich muss diese Position vor allem dem Standpunkt der Grünen diametral gegenüberstehen. Nur dann ist ein entsprechendes Medienecho gewährleistet.
Und damit sind wir schließlich wieder bei der AfD angelangt. Für die AfD ist auch schlechte Presse gute Presse. So haben die Medien in den letzten Wochen nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Kritik die AfD gepusht. Schon jetzt ist absehbar, dass sich diese Kausalität fortsetzen wird, ob das den „Journalisten“ nun klar ist oder nicht.
Die entscheidende Frage ist eigentlich nur, ob oder wann die Ampelkoalition den internen Differenzen zum Opfer fällt, denn Neuwahlen wären mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit das Resultat.
Vielleicht kann die FDP darauf hoffen nach einer solchen Neuwahl der Koalitionspartner einer gestärkten CDU zu werden, die – wie in Hessen – sicher als Sieger daraus hervorgehen würde. Sie kann nämlich auf die Zustimmung aller verbliebenen Konservativen hoffen, die sich ganz klar von der AfD distanzieren möchten. Da viele – sogar linksorientierte – Wähler die aktuelle Politik leid sind, wird die SPD sehr sicher Verlierer einer solchen Wahl werden und die Linken werden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit den Wiedereinzug verpassen. Einziges Fragezeichen bleiben die Grünen, denen ihre Stammwählerschaft wahrscheinlich gewogen bleibt, auch wenn sie sehr zentrale Wahlversprechen gebrochen haben. Sie scheinen außerdem eine gewisse Anziehung auf junge Menschen auszuüben, wie die Hessenwahl deutlich zeigt.
Unabhängig davon, ob es nach einem etwaigen Koalitionsbruch oder erst in zwei Jahren zur nächsten Bundestagswahl kommt, dürfte die AfD auch weiterhin mit Stimmenzuwächsen rechnen können – jedenfalls bis zu einer solchen Wahl. Dabei wird sie wohl ihr maximales Wählerpotential ausschöpfen, das womöglich bei ca. 30 % liegt. Schon um dieses Potential einzudämmen, scheint eine komplette Legislaturperiode Ampelkoalition ziemlich unwahrscheinlich.
Auch deshalb wird die FDP besser früher als später die Reißleine ziehen müssen, um einerseits die Schwäche der Grünen aufgrund ihrer Energiepolitik auszunutzen sowie andererseits noch Profit daraus schlagen zu können. Nur so kann sie auf eine schwarz-gelbe Regierungskoalition hoffen bzw. auf eine Regierungsbeteiligung. In zwei Jahren wird die FDP eventuell um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen müssen und für eine Regierungsbeteiligung käme sie nach einer gescheiterten Koalition nur für die CDU überhaupt infrage.
Dass die AfD auch mit etwaigen 30 % an einer Regierung beteiligt wird, ist mehr als unwahrscheinlich. Sogar eine schwarz-rot-grüne Koalition scheint da realistischer – wer auch immer dann den Kanzler stellen würde. Dies wird umso leichter, wenn die Linken aus dem Bundestag fliegen. Aktuell heben sie sich ohnehin kaum noch von den Regierungsparteien ab. Sie besitzen kein wirkliches Alleinstellungsmerkmal und haben sich selbst dadurch überflüssig gemacht.
Wenn überhaupt noch jemand „Die Linke“ wählt, dann wegen einzelner Persönlichkeiten wie Sahra Wagenknecht. Auch unter diesem Aspekt wäre eine vorgezogene Neuwahl für die FDP viel vorteilhafter, da Wagenknecht aktuell die Gründung einer eigenen Partei voranzutreiben scheint und aktuell nur die Europawahl im Blick hat. Eine Bundestagswahl würde sie sicher „kalt erwischen“, egal wie schnell letztlich die Strukturen aufgebaut werden. In jedem Fall könnte sie Wähler aus gleich mehreren Lagern abziehen.
Anderen Parteien dürfte dies wohl kaum gegeben sein. Jedenfalls hätten sie es weitaus schwerer, weil den meisten Wählern der Mut fehlt, um wirklich die Partei mit der größten Schnittmenge zu wählen. Häufig versucht man immer noch das „geringste Übel“ zu wählen oder läuft im schlimmsten Fall einer Führerfigur hinterher, die dann alles für einen richten soll. Obwohl die sicherste Methode, um tatsächlich eine neue Art Politik herbeizuführen, die Wahl von gleich mehreren kleinen Parteien wäre, scheitert dies am Pseudo-Realismus und an einem Mangel des Mutes seitens der Wähler.
Das ist auch deshalb so erschreckend, weil uns die Vergangenheit gleich mehrere Dinge gelehrt haben sollte. Eines ist natürlich, dass Führerfiguren niemals halten, was sie versprechen. Das Zweite ist, wie oben bereits erwähnt, wie wenig vertrauenswürdig die Wahlversprechen der etablierten Parteien sind.
Natürlich ist das nur die halbe Wahrheit, denn im Grunde kann man den Wählern kaum die alleinige Schuld an ihrem Wahlverhalten geben. Die Medien sind längst mehr als reine Berichterstatter – sie sind zu Meinungsmachern geworden. So wurden die Grünen erfolgreich, zwischenzeitlich die Piraten, vor Kurzem die „Bürger in Wut“ in Bremen und natürlich bei den aktuellen Wahlen die Freien Wähler sowie die AfD.
In diesem Zusammenhang ist das Framing zwar wichtig, kann aber in beide Richtungen Zugewinne bedeuten. Gerade bei Protestwählern funktioniert das sehr gut. Die meisten glauben anschließend selbstverständlich, ihre Wahl nach eigenen Überlegungen getroffen zu haben. Tatsächlich trifft das nur auf wenige zu, die möglicherweise weder Social Media noch Medien, in welcher Form auch immer, konsumieren und ihre Wahl ausschließlich nach Wahlprogramm treffen.
Damit behaupte ich nicht zwingend, dass die Ampelkoalition so geplant war, aber ausschließen kann ich es auch nicht. Da die Medien einen derart großen Einfluss haben, liegt es nach der nächsten Bundestagswahl auch in ihrer Macht, die AfD wieder ein wenig „zurechtzustutzen“. Dafür müssen sie die AfD – genau wie die „kleinen“ Parteien – nur unter die Wahrnehmungsschwelle von 1,5 % drücken. Ohne die Berichterstattung vergessen viele Menschen, wofür die AfD steht. Da werden auch die reichweitenstarken Social Media-Kanäle nur bedingt helfen. Hinzu kommt eine im Verhältnis doch recht überschaubare Mitgliederanzahl. Noch relevanter ist allerdings, dass sie zumindest theoretisch aufgrund ihrer hohen Stimmanteile – mehr als 20 % vorausgesetzt – hätte etwas ändern „müssen“.
Da aber alle anderen Parteien im Zweifelsfall eine Koalition um die AfD herum aufbauen werden, kann das nie gelingen. Durch die Meinungsmache, die sogar von alternativen Medien betrieben wird, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass zusätzlicher frischer Wind in den Parlamenten Einzug hält. Damit können die meisten Vorstöße der AfD einfach abgelehnt werden.
In einigen Fällen mag das durchaus sinnvoll erscheinen. Jedoch hat eine solche Brandmauer auch große Nachteile. Sie leistet ideologischen Entscheidungen Vorschub anstelle von sachbezogener Politik und das selbst, wenn es der Bevölkerung zum Nachteil gereicht.
Unklar ist, ob alle Medienvertreter sich bewusst sind, welche Auswirkungen ihre Arbeit hat. Einige wissen sicher sehr genau, was sie da tun – auch in den alternativen Medien. Gerade beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk kann man davon ausgehen, dass zumindest bei den Entscheidern ein gewisses Kalkül hinter der Berichterstattung steckt. Das zeigen auch meine wenigen Berührungspunkte während des vergangenen Wahlkampfs. Damit meine ich ganz klar nicht die Mitarbeiter, sondern die Planer verschiedener Formate.
Verlierer dieses politischen Schachspieles ist der Bürger, dessen Recht auf Mitbestimmung nach wie vor nur stark eingeschränkt vorhanden ist und es auf diese Weise auch bleiben dürfte. Trotzdem ist Aufgeben keine Option, ebenso wie keine Wahl zu treffen. Wenn wir in Zukunft mehr Demokratie wollen, dann müssen wir zunächst einmal das, was uns an Demokratie aktuell zur Verfügung steht, erhalten und nutzen.