Gastbeitrag von Ansgar Stalder (Landesvorsitzender Schleswig-Holstein)
Zum Sachverhalt
Im Dezember 2023 habe ich über „Frag den Staat“ drei Fragen gestellt:
- 1) Wie viele Hausdurchsuchungen hat es von 2018 bis 2022 in Schleswig-Holstein gegeben – aufgeschlüsselt nach Jahr und Verfolgungsgrund?
- 2) Wie viele dieser Hausdurchsuchungen sind in der Folge von einer höheren Instanz für unrechtmäßig erklärt worden?
- 3) Sind die Beteiligten an diesen rechtswidrigen Amtsakten disziplinarrechtlich, privatrechtlich oder strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen worden?
Nach einem Monat kam keine Antwort und ich habe Beschwerde nach dem Informationszugangsgesetz gestellt. Nach weiteren zwei Monaten kam immer noch keine Antwort, weshalb ich beim Verwaltungsgericht Untätigkeitsklage eingereicht habe. In der Form bekam ich Recht und mit gleicher Post entschuldigte sich das Land bei mir, nicht sofort geantwortet zu haben, behauptete aber, über die Daten nicht zu verfügen. Polizei- und Justizdaten seien nicht durch das Informationszugangsgesetz abgedeckt. Ich hatte zwei Wochen Zeit, dem Abschluss des Verfahrens zuzustimmen. Die Zeit ließ ich ohne Rückmeldung verstreichen.
Zu meiner großen Verwunderung erhielt ich dann Post vom Verwaltungsgericht, in der ich um Stellungnahme gebeten wurde und eine Fristverlängerung von drei Wochen eingeräumt bekam. Diese nutzte ich dann für ein klar formuliertes Schreiben, nicht zu glauben, dass die Daten unbekannt sind. Nur totalitäre Unrechtsstaaten und unfähige Bananenrepubliken wollen oder können diese Informationen nicht bereitstellen. Darauf erhielt ich dann eine Vorladung zur Hauptverhandlung in Schleswig.
Es geht also darum, ob das Land diese Information herausgeben muss.
Verhandlungstag
Die Verhandlung ist überstanden. 16 Unterstützer waren als Besucher im Gerichtssaal anwesend. Zunächst wurde von einer Referendarin der Sachverhalt vorgetragen. Daraufhin habe ich aufgrund der erst am 08. August sehr späten Einreichung der Unterlagen des Landes Akteneinsicht beantragt, die mir sofort gewährt wurde. Dafür unterbrach der Richter die Sitzung für zehn Minuten. Im Anschluss durfte ich mein Plädoyer vortragen, worauf der Vertreter des Landes nur kurz und nach meiner Wahrnehmung kleinlaut erwiderte.
Mein Plädoyer
„Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren,
ich bin Ingenieur und kein Jurist. Ingenieure haben es leichter mit der Wahrheit, denn bei Missachtung der Tatsachen fällt ein Bauwerk in sich zusammen und eine Maschine funktioniert nicht. In der Rechtsprechung ist die Wahrheitsfindung oft weit schwieriger, weil Befindlichkeiten herein spielen und die Auswirkungen erst Jahrzehnte später sichtbar werden. Meine Ausführungen sind deshalb auch grundsätzlicher und nicht auf den einzelnen Wortlaut der niedergeschriebenen Rechtsgrundlagen bezogen:
In seinem 1864 erschienenen Buch „Der Rechtsstaat“ stellt Dr. Otto Bähr fest – ich zitiere: „dass das Verhältnis zwischen Regierenden und Regierten nicht ein solches einseitiger Gewalt, sondern des Rechts sein soll“. Er führt aus, dass bei einem Prozess immer drei Parteien, Kläger, Beklagter und Richter beteiligt sind. Wenn im öffentlichen Recht Richter und Beklagter dieselbe Partei – nämlich der Obrigkeitsstaat – sind, gibt es keine objektive Gerechtigkeit. So ist der heutige Prozess nicht eine banale Verhandlung, ob irgendein Verwaltungsakt dem Buchstaben nach korrekt ausgeführt wurde, nein es geht heute um nicht weniger als die Existenz eines Rechtsstaates oder dessen Abschaffung.
Die Grundrechte, die seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts von unseren Vorvätern als Abwehr gegen staatliche – damals noch feudalistische – Willkür erkämpft und die zuletzt in den ersten zwanzig Artikeln unseres Grundgesetzes festgeschrieben wurden, sind nicht selbstverständlich, sondern müssen ständig neu erkämpft werden. Die Idee der Gewaltenteilung ist – wenn diese denn funktioniert – ein probates Mittel dazu.
In der jüngeren Zeit erlebten wir jedoch, dass die Exekutive dem vermeintlich neutralen aber
weisungsgebundenen Robert Koch-Institut Vorgaben machte und in der Folge die Gerichte diese
vermeintliche, rein fachlich begründete Neutralität als Entscheidungsgrundlage nahmen. Nun ist aber durch die Weisung keine Neutralität mehr gegeben gewesen und somit die Gerichte durch die von der Exekutive gelenkten Gutachten zu entsprechenden Urteilen gekommen. Wenn jedoch die drei Gewalten und man darf getrost die vierte Gewalt – die Presse – dazu zählen, in eine Richtung arbeiten, so nennt man das Totalitarismus.Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist ein wesentliches Kernelement zivilisatorischer
Rechtsstaatlichkeit. Winston Churchill soll einmal gesagt haben, ich lebe in einer Demokratie, wenn es um sechs Uhr morgens klingelt und ich weiß, dass es nur der Milchmann sein kann. Zitat Ende. Ich gehöre einer Generation an, die in der Schule dauerhaft ermahnt wurde, den Anfängen zu wehren.
Meine Eltern haben mir den Schrecken des Dritten Reiches immer damit vor Augen geführt, dass man jederzeit ungebetenen „Besuch“ erhalten könnte. Im Bewusstsein, dass so etwas nicht mehr möglich ist, habe ich viele Jahre meines Lebens als Soldat diesem Staat gedient.Am 07.04.2021 durfte ich jedoch selbst erleben, wie es sich anfühlt, Opfer einer Willkür zu werden, die leichtfertig Grundrechte beiseiteschiebt. Sechs bewaffnete Polizisten drangen um kurz vor 07:00 Uhr in mein Haus ein, weckten die Kinder, und während wir im Wohnzimmer festgehalten wurden, durchwühlten sie alle Zimmer. Obwohl das Landgericht am 22.09.2021 diese Durchsuchung wegen fehlenden Anfangsverdachts für rechtswidrig erklärte (5 Qs 55/21 590 Js 15541/21), bin ich seitdem in den Augen meiner Kinder ein Krimineller. Rufschädigung, Arbeitsplatzverlust und zerrüttete Familie lassen sich nicht mehr rückgängig machen. Im Film „Das Leben der Anderen“, der die STASI-Vergangenheit der zweiten Diktatur in Deutschland zum Thema hat, wird dargestellt, wie in der DDR Ermittlungsverfahren bis hin zu Untersuchungshaft durchgeführt wurden, um nach einer gewissen Zeit aus Mangel an Beweisen die Verfahren einzustellen. Die Einschüchterung bleibt. Solch einen Akt des Staatsterrorismus darf man der Obrigkeit in einem demokratischen Rechtsstaat nicht durchgehen lassen.
In einem Rechtsstaat muss über die Verletzung elementarer Grundrechte eine strenge Kontrolle
herrschen. Warum beantwortet das Land die Fragen nicht? Weil es nicht will oder weil es nicht kann?
Nur totalitäre Regime mit Vertuschungsinteresse haben kein Bedürfnis an einer Offenlegung oder
unfähige Bananenrepubliken sind nicht in der Lage, dem Bürger, also dem Souverän darüber dezidiert Rechenschaft abzulegen. Die von mir abgefragten Daten liegen alle vor und es sind keine Details über laufende Verfahren, sondern die statistische Außerkraftsetzung von Grundrechten. Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch auf die Offenlegung dieser Fakten.Mein Eindruck – nicht nur aus dem eigenen Erleben – ist, dass es noch vor ein paar Jahren sehr schwer war, Hausdurchsuchungen genehmigt zu bekommen. Inzwischen wird für weit mehr Sachverhalte eine Hausdurchsuchung angeordnet und auch vom Gericht zugelassen. Wie groß ist der Anteil der nachträglich für unrechtmäßig erklärten Durchsuchungen? Haften die Durchführenden, die eigentlich hätten remonstrieren müssen? Solche Sachverhalte gehören an die Öffentlichkeit, muss der Souverän – das Volk – zur Kenntnis erhalten. Entwicklungen werden dadurch sichtbar! Sollte ich mich mit meinen Befürchtungen irren, so müsste das Land doch ein Interesse daran haben, anhand harter Fakten mich zu widerlegen? Durch die Weigerung der Offenlegung dieser Zahlen erhärtet sich nur der Verdacht, eine Tendenz zum Unrecht vertuschen zu wollen.
Sie, sehr geehrter Herr Maier-Hellbardt sind die dritte Gewalt in diesem Staat. Sie sind an keine
Weisung weder von Legislative noch von Exekutive gebunden. Ihr Urteil sprechen Sie „im Namen des Volkes“ – nicht „im Namen der Regierung“. Sie sind jetzt im Jahr 2024 im Amt und können jetzt im Jahr 2024 Ihren Beitrag zum Erhalt des Rechtsstaates leisten. Es ist Ihre Entscheidung, ob Sie als Bewahrer des Rechtsstaates Totalitarismus und Willkür Einhalt gebieten oder in einer Reihe mit stalinistischen Schauprozessen und ähnlichen Rechtsbeugern in die Geschichte eingehen wollen. Jetzt haben Sie die Möglichkeit, Ihren Einfluss in die Waagschale zu werfen. Wenn Sie erst im Ruhestand sind und in einem Willkürstaat leben müssen, können Sie vielleicht noch einen Leserbrief schreiben, der dann nicht einmal abgedruckt werden muss.Doch gleichgültig, wie auch der Urteilsspruch ausfallen wird: Gewonnen haben die Menschen in
Schleswig-Holstein schon jetzt – nämlich Erkenntnis! Sollte meiner Forderung entsprochen werden,
Wissen über das genaue Maß staatlicher Übergriffigkeit; sollten meine Fragen nicht beantwortet
werden, die traurige Gewissheit darüber, dass aus einem subtilen Geflecht aus Paragrafen die Fassade eines demokratischen Rechtsstaates gesponnen wird, hinter der Willkürmaßnahmen durchgeführt und vertuscht werden können.Meine Erinnerungen habe ich als Buch so gut wie fertig. Im letzten Kapitel ist noch ein Ehrenplatz für Ihren Namen freigehalten.
Deshalb beantrage ich im Sinne des Erhalts des Rechtsstaates eine Verurteilung des Landes auf die Herausgabe der von mir gewünschten statistischen Angaben.“
Fazit
Der Richter stellte fest, dass aufgrund des Informationszugangsgesetzes tatsächlich kein Anspruch auf Auskunft besteht. Jedoch wandelte er meine Klage in eine Verpflichtungsklage um. Das Land stellte Antrag auf Klageabweisung und der Richter schloss die Verhandlung ohne Urteil.
Er will die Rechtsgrundlage näher untersuchen und in vierzehn Tagen schriftlich ein Urteil fällen. Inzwischen haben wir herausgefunden, dass die von mir gewünschte Information aus dem „Artus“-System der Polizei per Knopfdruck abrufbar ist.
UPADATE 18. August 2024:
Heute kam das Urteil vom Verwaltungsgericht. Das Land hat Recht bekommen und muss keine Informationen herausgeben, weil es diese offensichtlich nicht hat.
Damit haben wir den Beweis, entweder in einem totalitären Terrorstaat oder in einer unfähigen Bananenrepublik, oder in beidem gleichzeitig zu leben.