Gastbeitrag von Günther Burbach
Als ich mich vor drei Wochen an meinen Rechner setzte, hatte ich genug. Wahlkampf in Deutschland, das bedeutet überall Gesichter von Politikern, die einen mit ihren Parolen anlächeln, während sie sich gegenseitig mit Versprechen für die Zukunft überbieten. Und genau da liegt das Problem: Es sind die gleichen Leute, die uns in die aktuelle Lage gebracht haben.
Ich bin niemand, der leicht in Schwarz-Weiß-Denken verfällt, aber es fällt mir zunehmend schwer, in der politischen Landschaft echte Alternativen zu entdecken. Die Debatten verlaufen im Kreis, jede Partei hält an ihrer Ideologie fest und das eigentliche Ziel, eine funktionierende Politik für alle, scheint irgendwo auf der Strecke geblieben zu sein.
Es sind nicht nur die großen Schlagzeilen, die mich frustrieren, sondern vor allem der Stillstand. Jeder sieht die Probleme, aber an echten Lösungen scheitert es. Die Wirtschaft schwächelt, das Bildungssystem verliert an Qualität, die soziale Sicherheit steht auf wackligen Beinen und die Gesellschaft scheint sich an ihren Gegensätzen immer weiter aufzureiben. Doch anstatt gemeinsam nach Auswegen zu suchen, wird nur noch nach Schuldigen Ausschau gehalten, am besten bei der jeweils anderen Partei.
Die Idee: Was, wenn eine KI ein Wahlprogramm schreiben würde?
Ich gebe zu, die Idee war eher ein Geistesblitz als ein ernsthafter Plan. Ich klickte mich durch ein KI-Programm und stellte eine einfache Frage:
„Wo wurden in Deutschland die größten politischen Fehler gemacht?“
Die Antwort überraschte mich. Nicht, weil die KI plötzlich bahnbrechende Erkenntnisse lieferte, sondern weil sie es anders tat, als ich es gewohnt war. Keine Schuldzuweisungen, keine parteipolitischen Kampfbegriffe, keine Dramatisierung, nur eine nüchterne Analyse mit Alternativen. Fakten statt Polemik. Das brachte mich zum Nachdenken. Was, wenn ich der KI vorgebe, ein Wahlprogramm zu schreiben, das nicht von Parteizugehörigkeit oder Ideologie geprägt ist? Konnte eine KI eine bessere Politik vorschlagen als Politiker? Na ja, was hatte ich zu verlieren, schlechter konnte es schließlich, in meinen Augen, nicht werden. Ich will hier gar nicht so tun, als wäre eine KI der Heilsbringer für alle politischen Probleme. Im Gegenteil, ich sehe genug Gründe, ihr zu misstrauen. Denn was macht Politik eigentlich aus? Es geht nicht nur um Zahlen, Statistiken und wirtschaftliche Berechnungen. Es geht auch um Werte, um Moral, um die Frage: Was für eine Gesellschaft wollen wir sein?
Und genau hier liegt der Knackpunkt: Eine KI kann keine Werte haben. Sie kann analysieren, berechnen, abwägen, aber sie kann nicht fühlen. Sie weiß nicht, was es bedeutet, in Armut aufzuwachsen, sie kennt keine Angst vor sozialem Abstieg und sie hat keine Vorstellung davon, was Freiheit für einen einzelnen Menschen bedeuten kann. Trotzdem habe ich das Projekt gestartet. Ich machte verschiedene Vorgaben, die sich auf wahrheitsgemäße, faktenbasierte Aussagen stützen sollten. Es sollte nach keiner politischen Richtung vorgegangen oder irgendeine bevorzugt werden. Diese Vorgehensweise brachte mir einige Verstöße gegen die Richtlinien der KI ein.
Was die KI ausspuckte, war oft überraschend. Sie schlug Dinge vor, die von politischen Lagern unterschiedlich aufgenommen würden: Mal klangen sie konservativ, mal progressiv, mal völlig technokratisch. Es gab keinen klaren roten Faden, keine erkennbare Ideologie. Doch genau das machte es so interessant.
Beispiel Kriminalität:
Während einige Parteien härtere Strafen fordern und andere auf Prävention setzen, analysierte die KI nüchtern, welche Maßnahmen in anderen Ländern nachweislich funktioniert haben, ohne moralische Debatte darüber, was „hart“ oder „weich“ ist.
Beispiel Energiepolitik:
Anstatt sich auf eine Technologie zu versteifen, ermittelte sie einen diversifizierten Energiemix, der Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit gleichermaßen berücksichtigt. Überraschenderweise empfahl sie auch den Bau neuer Kernkraftwerke, ein Thema, das in Deutschland politisch fast tabu ist.
Beispiel Außenpolitik:
Sie bewertete die Auswirkungen von Waffenlieferungen an Kriegsparteien und kam zu einem eindeutigen Ergebnis: Langfristig schaden sie mehr als sie nützen. Eine Einschätzung, die sich mit vielen historischen Erfahrungen deckt.
Das Erstaunlichste war jedoch nicht die Qualität der Vorschläge, sondern die Art, wie sie entstanden: Nicht aus Überzeugung oder politischer Strategie, sondern aus reiner Analyse. Und hier komme ich wieder an den Punkt, der mich zweifeln lässt. Eine KI kann Dinge berechnen, aber sie wird nie verstehen, wie sich ihre Vorschläge im echten Leben auswirken. Sie kann Statistiken über Armut analysieren, aber sie wird nie spüren, was es bedeutet, am Monatsende nicht zu wissen, wie man die Miete zahlen soll. Sie kann Prognosen für Arbeitsmarktentwicklungen berechnen, aber sie wird nie das Gefühl haben, nach 30 Jahren im Beruf plötzlich überflüssig zu sein.
Kurz gesagt: KI könnte eine geniale Beraterin, aber nie wie ein Mensch sein. Und genau das ist auch der Grund, warum sie nicht entscheiden kann, sondern nur Vorschläge machen sollte.
Was bleibt? Ein Experiment mit vielen Fragen
Am Ende habe ich die Ergebnisse der KI in ein Buch gepackt:
„Zeit für Antworten – Das Wahlprogramm der KI“
Nicht, weil ich glaube, dass eine Maschine die besseren Politiker stellt. Nicht, weil ich denke, dass wir unsere Demokratie durch Algorithmen ersetzen sollten. Sondern weil ich glaube, dass unser politisches System frische Impulse braucht. Denn wenn eine KI in der Lage ist, ein Wahlprogramm zu schreiben, das auf Fakten basiert, ohne sich um Wahlkampf oder Popularität zu kümmern, dann sollten wir uns eine ernsthafte Frage stellen: Warum schaffen wir das nicht selbst? Es geht nicht darum, Maschinen das Ruder zu überlassen. Es geht darum, Politik neu zu denken: faktenbasiert, lösungsorientiert und jenseits von „Parteidenken“. Ich bin kein blinder KI-Fanatiker. Ich bin ein Skeptiker. Aber nach diesem Experiment sehe ich eine Sache klarer als zuvor:
Es ist nicht die KI, die sich ändern muss, es ist die Art, wie wir Politik machen.