„Krieg soll als möglicher Normalzustand vorbereitet werden“

Gastbeitrag von und mit Günther Burbach (Dieses Interview ist zuerst bei Overton Magazin erschienen.)

In Deutschland hat sich ein Bruch vollzogen. Wo man einstmals die Vergangenheit im Hinterkopf behielt, raunt man jetzt verrohte Offensivrhetorik ins Land hinaus. Günther Burbach hat ein Buch zur Lage im Land verfasst. Roberto De Lapuente vom Overton Magazin hat mit ihm gesprochen.

De Lapuente: Herr Burbach, bevor wir über Ihr Buch sprechen, erzählen Sie uns kurz etwas über Ihren journalistischen Werdegang. Wie sind Sie zu dem geworden, der Sie heute sind?

Burbach: Ich habe ganz klassisch bei einer kleinen Provinzzeitung angefangen, damals noch mit Block, Kuli und doppeltem Kaffee. Später habe ich dann für die Funke-Mediengruppe in der Redaktion gearbeitet. Doch richtig aktiv wurde ich erst mit der Zeit, als ich das Gefühl hatte: Es reicht nicht mehr, einfach nur zu beobachten, man muss auch etwas sagen. Ich schreibe inzwischen regelmäßig für Plattformen wie Apolut, Overton Magazin, Manova, Free21 und die NachDenkSeiten. Diese Artikel sind für mich ein Ventil. Wenn man sich mit offenen Augen anschaut, was in den letzten Jahren passiert ist, kann man nicht einfach weitermachen. Manche Texte schreibe ich tatsächlich aus einer Mischung aus Wut, Sorge und dem Drang, nicht zu platzen.

De Lapuente: Herr Burbach, Ihr Buch trägt den Titel »Friedensbruch – Warum Deutschland nicht mehr ist, was es einmal sein wollte«. Was genau wurde da Ihrer Meinung nach gebrochen und von wem?

Burbach: Gebrochen wurde ein zentrales Versprechen der deutschen Nachkriegsgeschichte: Nie wieder Krieg. Es wurde nicht offen zurückgenommen, sondern sprachlich umgedeutet. Plötzlich heißt es: »Frieden muss verteidigt werden«, militärisch, wenn nötig. Deutschland liefert Waffen, führt wirtschaftliche Kriege, denkt wieder in Fronten. Gebrochen wurde auch das Vertrauen vieler Menschen, dass dieses Land aus seiner Geschichte wirklich gelernt hat. Und der Bruch kam nicht über Nacht, sondern als sogenannte Zeitenwende.

Beitragsbild zum Interviewartikel mit Günther Burbach

»Die friedenspolitische Prägung der Republik wird stillschweigend überschrieben«

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De Lapuente: Sie sprechen im Buch von einer »Umkodierung« der Sprache. Was ist damit gemeint?

Burbach: Sprache schafft Realität. Wenn über Jahre Begriffe wie »Krieg«, »Abschreckung« oder »Bündnistreue« verharmlost oder positiv umgedeutet werden, verändert das das Denken. Diplomatie gilt plötzlich als Schwäche, Zögern als »Führungsschwäche«. Es entsteht ein Klima, in dem Krieg nicht mehr das absolute Tabu ist, sondern eine Option unter anderen. Genau das ist mit »Umkodierung« gemeint: Die friedenspolitische Prägung der Republik wird stillschweigend überschrieben.

De Lapuente: Sie kritisieren natürlich auch die Rolle der Medien. Was machen die falsch?

Burbach: Die öffentlich-rechtlichen und großen Leitmedien tragen eine Mitschuld an der Entgrenzung der Debatte. Sie haben sich in den Dienst einer als moralisch alternativlos inszenierten Politik gestellt. Abweichende Stimmen wurden diskreditiert, Experten ignoriert oder etikettiert. Das nährt Misstrauen. Die größte Gefahr aber ist: Wenn Medien nicht mehr trennen zwischen Information und Einordnung, wird Journalismus zur Propaganda mit seriösem Anstrich.

De Lapuente: Vielleicht machen die Medien es aber nicht falsch, sondern genau richtig – anders gesagt: Glauben Sie nicht, dass das die Aufgabe ist, die diese »neue große Zeit« für den Medienbetrieb vorgesehen hat?

Burbach: Das ist eine sehr kluge und bittere Frage. Vielleicht ist es tatsächlich so, dass viele Medien ihre Aufgabe genau so erfüllen, wie es von ihnen in dieser »neuen Zeit« erwartet wird. Und genau das ist das Problem. Denn wenn Medien nicht mehr in erster Linie informieren, aufklären, hinterfragen, sondern vielmehr einordnen, formen, stabilisieren sollen, dann geraten sie vom vierten Pfeiler der Demokratie zum verlängerten Arm politischer oder wirtschaftlicher Machtinteressen. Ich glaube nicht, dass das zwangsläufig durch Zwang geschieht. Viel gefährlicher ist: Es geschieht aus Überzeugung, aus Opportunismus, aus stiller Anpassung an eine veränderte Erzählung von Welt. In Krisenzeiten, ob Pandemie, Krieg oder Klima, entsteht ein starkes Bedürfnis nach Eindeutigkeit. Doch Medien sollten gerade dann Komplexität zumuten, nicht einfache Wahrheiten liefern. Wenn aber Journalisten beginnen, ihre Arbeit als »Beitragen zur richtigen Haltung« zu verstehen, dann wird das Ringen um Wahrheit durch das Diktat der Narration ersetzt. Und dann ist das, was man früher Propaganda nannte, kein Tabu mehr, sondern ein Werkzeug im Dienst des Guten. Vielleicht ist es genau das, was wir erleben: dass die mediale Gleichrichtung kein Betriebsunfall ist, sondern Teil einer neuen Funktion von Öffentlichkeit. Und genau deshalb müssen wir sie in Frage stellen.

»Begriffe wie Durchhaltewille oder Kriegsmüdigkeit kehren zurück«

De Lapuente: Wie kam es zu Ihrem Buchprojekt? Man steht ja nicht morgens auf und sagt sich, dass es jetzt ein Buch sein soll. Gab es einen Auslöser?

Burbach: Ja, der Bruch war die Rede von Olaf Scholz zur »Zeitenwende«. Ich habe gespürt: Das ist keine normale Regierungserklärung, das ist ein Framing, das alles verschiebt. Und die Geschwindigkeit, mit der sich dann Dinge verändert haben, von Waffenlieferungen bis zur Diskursverengung, hat mich alarmiert. Ich hatte das Bedürfnis, das alles festzuhalten, zu ordnen, zu analysieren. Das Buch ist aus diesem Impuls entstanden.

De Lapuente: Kritiker könnten sagen: Sie schreiben das Buch aus einer klaren politischen Haltung heraus. Ist das nicht einseitig?

Burbach: Ich schreibe aus einer Haltung heraus, ja, aber nicht aus Parteilichkeit. Ich glaube nicht an die moralische Pflicht zur Waffenhilfe. Ich glaube an Aufklärung, an das Ernstnehmen historischer Verantwortung, an Gewaltverzicht als politische Maxime. Wenn das heute als »Haltung« gilt, dann muss man sich fragen, wie weit wir schon gekommen sind. Mein Buch ist keine Verteidigung Russlands. Es ist ein Angriff auf das Vergessen.

De Lapuente: Ein zentrales Motiv in Ihrem Buch ist die Militarisierung des Denkens. Wo im Alltag glauben Sie das zu erkennen?

Burbach: Schulen laden Soldaten ein. Politiker sprechen von »Kriegstüchtigkeit«. Friedensinitiativen gelten als verdächtig. Die Sprache verroht, Begriffe wie »Durchhaltewille« oder »Kriegsmüdigkeit« kehren zurück. All das ist kein Zufall, sondern Teil eines politischen Klimas, das den Krieg als möglichen Normalzustand wieder vorbereitet. Und die wenigsten merken es, weil es nicht mit einem Paukenschlag geschieht, sondern in kleinen, akzeptablen Dosen.

»Ich habe oft das Gefühl, dass man mit Argumenten nicht mehr durchdringt«

De Lapuente: Gibt es Reaktionen auf Ihr Buch, die Sie besonders überrascht oder berührt haben?

Burbach: Ja, es haben sich Leser gemeldet, die sagten: »Endlich spricht jemand aus, was ich mich nicht mehr zu sagen traue.« Das hat mich sehr berührt, aber auch bestätigt: Wir sind in einer Phase, in der Sprachlosigkeit herrscht. Viele Menschen spüren, dass etwas nicht stimmt, aber sie finden kein Gehör mehr dafür. Wenn mein Buch dabei hilft, Worte für dieses Unbehagen zu finden, hat es seinen Zweck erfüllt.

De Lapuente: Was wäre Ihr Wunsch an die Politik – oder an die Gesellschaft?

Burbach: Mein Wunsch ist Besonnenheit. Ein Innehalten. Und der Mut, sich aus der NATO-Dynamik zu lösen, wenn sie uns in eine Katastrophe führt. Deutschland muss nicht völlig neutral sein, aber es sollte wieder zu sich selbst finden: als zivil, diplomatisch, erinnerungsbewusst. Wir müssen nicht die Welt retten. Aber wir sollten aufhören, sie mit kaputtzumachen.

De Lapuente: Sie haben vorhin gesagt, dass Sie dieses Buch auch aus einer gewissen Verzweiflung geschrieben haben. Was meinen Sie damit?

Burbach: Ich habe oft das Gefühl, dass man mit Argumenten nicht mehr durchdringt. Viele Menschen lassen sich allabendlich berieseln, ohne zu merken, dass sie nicht informiert, sondern gesteuert werden. Wenn man dann fragt, ob die Waffenlieferungen der letzten Jahre wirklich etwas Positives bewirkt haben, kommt oft nur noch Schweigen. Dabei hätte es 2022 eine Chance auf Frieden gegeben. Heute sind hunderttausende Menschen tot, die Ukraine ist zerstörter als je zuvor und die Antwort des Westens lautet: noch mehr Waffen.

»Wir brauchen ein weltweites Abkommen zur Begrenzung autonomer Waffensysteme«

De Lapuente: Jetzt muss ich nochmal Advocatus Diaboli spielen: Man muss doch davon ausgehen, dass der Ukrainekrieg aus westlicher Sicht nicht aus dem Ruder läuft, sondern so geschieht, wie man ihn sich gewünscht hat. Er ist lang und zäh, ein Dauernotstand: Ihre Kritik, dass etwas schiefläuft, ist vielleicht unzutreffend, weil es ganz und gar nicht schiefläuft aus Sicht westlicher Eliten im Großmannssuchtmodus …

Burbach: Wenn das tatsächlich der Plan ist, Russland langfristig zu schwächen, koste es, was es wolle, dann erleben wir gerade kein Scheitern, sondern den zynischen Erfolg einer menschenverachtenden Strategie. Dann ist der Krieg kein Unfall, sondern ein gewollter Dauerzustand. Einer, der Millionen das Leben, die Heimat oder die Zukunft kostet und den westliche Eliten offenbar in Kauf nehmen, solange die eigene Macht gesichert und der Gegner geschwächt wird. Dann ist auch der moralische Überbau nichts weiter als ein Vorhang. Frieden wird beschworen, aber nur als Fernziel. Verhandlungen werden abgelehnt, weil sie dem Feind nützen könnten. Stattdessen: Waffen, Eskalation, Propaganda. Und wer das kritisiert, wird als illoyal gebrandmarkt, als Putinversteher, als Störfaktor im großen geostrategischen Spiel. Wenn das das Ziel ist, ein zäher, entgrenzter Dauerkrieg zur Schwächung Russlands, zur Festigung westlicher Dominanz und zur Einschüchterung aller, die nicht mitziehen, dann laufen die Dinge tatsächlich nicht aus dem Ruder. Dann laufen sie exakt nach Plan. Aber dieser Plan ist nicht demokratisch legitimiert. Er wurde nie öffentlich diskutiert. Und er wird auch nicht offen benannt, weil er moralisch nicht zu rechtfertigen ist. Was wir erleben, ist keine Zeitenwende. Es ist die Rückkehr des geopolitischen Zynismus, kaschiert mit Menschenrechten und Werten, die nur gelten, solange sie nützlich sind.

De Lapuente: Sie fordern in Ihrem Buch nicht nur Kritik, sondern auch neue Wege. Wie könnten diese aussehen?

Burbach: Wir brauchen dringend einen echten, unabhängigen UN-Sicherheitsrat, der nicht vom Westen oder Russland dominiert wird. Und wir müssen wieder lernen, mit allen Seiten zu sprechen, ohne moralische Überheblichkeit. Es reicht nicht, sich für die Guten zu halten. Wir müssen lernen zuzuhören, auch anderen Sichtweisen. Und wir müssen den globalen Blick weiten, denn die Kriege, die wir heute mitverantworten, finden nicht nur in Europa statt.

De Lapuente: Sie erwähnen auch die Rolle künstlicher Intelligenz – nicht nur in Ihrem Buch, Sie schreiben auch häufig auf unseren Seiten darüber. Welche Gefahr sehen Sie dort?

Burbach: Viele feiern KI als Fortschritt, ohne zu begreifen, was da auf uns zurollt. Wenn autonome Drohnen Realität werden, und das werden sie, dann ist das nur der Anfang. Wir sprechen von Maschinen, die selbstständig töten können, ohne moralische Instanz, ohne Verantwortung. Und es gibt keine wirksame internationale Regulierung. Was wir jetzt brauchen, ist ein weltweites Abkommen zur Begrenzung autonomer Waffensysteme, bevor es zu spät ist.

De Lapuente: Klingt, als sei Ihre Kritik nicht nur geopolitisch, sondern auch gesellschaftlich motiviert.

Burbach: Absolut. Ich glaube an das Konzept der Menschheitsfamilie, wie es Daniele Ganser beschreibt. Wenn wir aufhören, in Freund und Feind zu denken, und anfangen, global gerechte Strukturen zu schaffen, wäre schon viel gewonnen. Es gibt genug Geld auf der Welt, um Armut zu beenden, ohne dass die Superreichen es überhaupt merken würden. Was fehlt, ist der Wille. Und der Mut, das System zu hinterfragen, das diese Ungleichheit aufrechterhält.


Anmerkung der Redaktion: Ohne Frieden ist alles nichts. Unsere Vision: Eine neutrale Bundesrepublik, die für Friedensverhandlungen weltweit steht. dieBasis sagt „Stopp!“ zu dem menschenverachtenden und zerstörerischen Wahnsinn in Politik, Wissenschaft, Justiz, Wirtschaft, Medizin und Medien sowie der ständigen Indoktrination. Wir sagen „Stopp!“ zur Drangsalierung einer Bevölkerung, die ständig unter Druck und in Angst gehalten wird, denn so kann niemand in Frieden leben.

Günther Burbach, Jahrgang 1963, ist Informatikkaufmann, ehemaliges Mitglied im Landesverband NRW, Publizist und Buchautor. Nach einer eigenen Kolumne in einer Wochenzeitung arbeitete er in der Redaktion der Funke Mediengruppe. Er veröffentlichte vier Bücher mit Schwerpunkt auf Künstlicher Intelligenz sowie deutscher Innen- und Außenpolitik. In seinen Texten verbindet er technisches Verständnis mit gesellschaftspolitischem Blick – immer mit dem Ziel, Debatten anzustoßen und den Blick für das Wesentliche zu schärfen.

 

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