Richter bezeichnet Lockdown als „katastrophale Fehlentscheidung“

Gastbeitrag RA Clemens Sandmeier, 1. Vorsitzender LV Bayern

Richter bezeichnet Lockdown als „katastrophale Fehlentscheidung“ 

Ein junger Mann feierte im April 2020 mit insgesamt 8 Personen in einem Hinterhof Geburtstag. Damit verstieß er gegen das zu diesem Zeitpunkt in Thüringen geltende Kontaktverbot aus der Thüringischen Sars-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung. Danach hätte der Mann höchstens „mit einer weiteren haushaltsfremden Person“ feiern dürfen. Das Amtsgericht Weimar hatte über diese mit 200 Euro Bußgeld bewehrte Ordnungswidrigkeit zu entscheiden. Der Richter hat den Betroffenen freigesprochen. Die zugrundeliegende Verordnung ist nach der Bewertung des Richters verfassungswidrig und damit unwirksam. 

Die konkreten Auswirkungen des Urteils beschränken sich zwar allein auf den Kläger und die Stadt  Weimar, dennoch ist das Urteil bundesweit bemerkenswert, denn es stellt die gesamte deutsche Lockdown-Politik infrage.  

Wie kommt der Richter zu seiner Bewertung?  

Zunächst analysiert er die Datenlage, auf deren Grundlage das Land Thüringen – wie andere deutsche  Bundesländer auch – zum relevanten Zeitpunkt im Frühjahr 2020 eine Rechtsverordnung erließ, die  unter anderem ein Kontaktverbot enthielt. Bei der Analyse der Faktenlage kommt der Richter zu einem ganz anderen Ergebnis als die Politik. So schreibt der Richter unter anderem:  

Es gab keine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ (§ 5 Abs. 1 IfSG), wenngleich dies der  Bundestag nachträglich mit Wirkung ab 28.03.2020 festgestellt hat. Diese Einschätzung ergibt sich  bereits allein aus den veröffentlichten Daten des Robert Koch-Instituts: Der Höhepunkt der COVID 19-Neuerkrankungen (…) war bereits am 18.03.2020 erreicht. Dies ergibt sich aus einer Grafik, die  

seit dem 15.04.2020 täglich in den Situationsberichten des Robert-Koch-Instituts veröffentlicht wurde und die den zeitlichen Verlauf der Neuerkrankungen zeigt (z.B. Lagebericht vom 16.04.2020, S. 6, Abb. 6). Bringt man hier noch die laut Robert-Koch-Institut durchschnittliche Inkubationszeit von 5  Tagen in Abzug, ergibt sich als Tag des Höhepunktes der Neuinfektionen der 13.03.2020. Zum Zeitpunkt des Beginns des Lockdowns am 22.03.2020 sank damit die Zahl der Neuinfektionen bereits seit 10 Tagen.“ 

In Deutschland habe zu keinem Zeitpunkt im Frühjahr 2020 eine konkrete Gefahr der Überlastung  des Gesundheitssystems durch eine „Welle“ von COVID-19-Patienten bestanden. „Wie sich dem  am 17.03.2020 neu etablierten DIVI-Intensivregister entnehmen lässt, waren im März und April in  Deutschland durchgehend mindestens 40% der Intensivbetten frei.“ Insgesamt lag die Zahl der COVID-19-Patienten demnach „zu keinem Zeitpunkt in einem Bereich, bei dem eine Überlastung des Gesundheitssystems zu befürchten gewesen wäre“. 

Der Richter führt im Weiteren aus, dass die Politik von falschen Annahmen zur Sterblichkeitsrate  durch das Virus ausging. Die Sterblichkeitsrate betrage nach wissenschaftlichen Erkenntnissen zwischen 0,27% und 0,23% und liegt damit nicht höher als bei mittelschweren Influenzaepidemien. Veröffentlicht in einem Bulletin der WHO: https://www.who.int/bulletin/online_first/BLT.20.265892.pdf. 

Aufgrund seiner umfassenden Analyse kommt der Richter zu dem Ergebnis, dass keine Situation  bestand, die ohne einschneidende Maßnahmen zu unvertretbaren Schutzlücken geführt hätte. Damit sind die Paragraphen der zugrundeliegenden Thüringischen Rechtsverordnung aus Sicht des Richters verfassungswidrig. 

Kontaktverbot ist ein Verstoß gegen die Menschenwürde 

Weiterhin verletzten nach Wertung des Richters das allgemeine Kontaktverbot und das Ansammlungsverbot die in Art. 1 Abs.1 Grundgesetz als unantastbar garantierte Menschenwürde. Schutz der Menschenwürde bedeute unter anderem Schutz vor Tabuverletzungen durch den Staat. 

Bei einem allgemeinen Kontaktverbot handelt es sich um einen schweren Eingriff in die Bürgerrechte. (…) Die freie Begegnung der Menschen untereinander zu den unterschiedlichsten Zwecken ist zugleich die elementare Basis der Gesellschaft. Der Staat hat sich hier grundsätzlich jedes zielgerichteten regulierenden und beschränkenden Eingreifens zu enthalten. Die Frage, wie viele Menschen ein Bürger zu sich nach Hause einlädt oder mit wie vielen Menschen eine Bürgerin sich im öffentlichen Raum trifft, um spazieren zu gehen, Sport zu treiben, einzukaufen oder auf einer Parkbank zu sitzen, hat den Staat grundsätzlich nicht zu interessieren.“ 

Tabu-Bruch durch Corona-Maßnahmen 

Der Staat greife die Grundlagen der Gesellschaft an, wenn er durch „social distancing“ physische Distanz zwischen Bürgerinnen und Bürgern erzwinge: „Es besteht kein Zweifel daran, dass der demokratische Rechtsstaat mit dem Kontaktverbot ein bisher als vollkommen selbstverständlich angesehenes Tabu verletze. Weiter führt der Richter aus: „Wird jeder Bürger als Gefährder betrachtet, vor dem  andere geschützt werden müssen, wird ihm zugleich die Möglichkeit genommen, zu entscheiden,  welchen Risiken er sich selbst aussetzt, was eine grundlegende Freiheit darstellt. Das freie Subjekt, das selbst Verantwortung für seine und die Gesundheit seiner Mitmenschen übernimmt, ist insoweit suspendiert. Alle Bürger werden vom Staat als potentielle Gefahrenquellen für andere und damit als Objekte betrachtet, die mit staatlichem Zwang „auf Abstand“ gebracht werden müssen.“ Eine  Sichtweise, die den Menschen zum bloßen Objekt herabwürdigt, ist aber mit dem Grundgedanken  der Menschenwürde aus Art. 1 Abs.1 Grundgesetz nicht vereinbar.  

Gigantische Schäden durch die Corona-Maßnahmen 

Das über 19 Seiten umfassende Urteil geht im Weiteren noch ausführlich auf die schädlichen Folgen  durch den Lockdown für die gesamte Gesellschaft ein. Es kommt zu dem Ergebnis, dass die Schäden  durch Corona-Maßnahmen wie den Lockdown für die gesamte Gesellschaft so unabsehbar groß sind,  dass sie in keinem Verhältnis zur aufgezeigten Gefahr durch die Krankheit stehen. Am Ende des aus führlichen Urteilstexts schreibt der Richter:  

„Nach dem Gesagten kann kein Zweifel daran bestehen, dass allein die Zahl der Todesfälle, die auf  die Maßnahmen der Lockdown-Politik zurückzuführen sind, die Zahl der durch den Lockdown verhinderten Todesfälle um ein Vielfaches übersteigt. Schon aus diesem Grund genügen die hier zu beurteilenden Normen nicht dem Verhältnismäßigkeitsgebot. Hinzu kommen die unmittelbaren und  mittelbaren Freiheitseinschränkungen, die gigantischen finanziellen Schäden, die immensen gesundheitlichen und die ideellen Schäden. Das Wort „unverhältnismäßig“ ist dabei zu farblos, um die Dimensionen des Geschehens auch nur anzudeuten. Bei der von der Landesregierung im Frühjahr (und  jetzt erneut) verfolgten Politik des Lockdowns, deren wesentlicher Bestandteil das allgemeine Kontaktverbot war (und ist), handelt es sich um eine katastrophale politische Fehlentscheidung mit dramatischen Konsequenzen für nahezu alle Lebensbereiche der Menschen, für die Gesellschaft, für den Staat und für die Länder des Globalen Südens.“ 

Das Urteil ist im Volltext verfügbar unter Aktenzeichen: 6 OWi – 523 Js 202518/20). Zum gegenwärti gen Zeitpunkt (25. Januar 2021) ist das Urteil noch nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft Erfurt  hat Antrag auf Zulassung einer Rechtsbeschwerde eingelegt.