In Niedersachsen wird eine Koalition der Wählerverlierer regieren

Wahlanalyse zur Landtagswahl in Niedersachsen

Ein Kommentar von Dietmar Ferger

Seit der Bundestagswahl 2021 (BTW 2021) ist etwa ein Jahr vergangen. In dieser Zeit ist das Protestpotential stark angestiegen, die Unzufriedenheit der Menschen mit der herrschenden Politik war wahrscheinlich im Nachkriegs-Deutschland noch nie so hoch wie heute.

Trotzdem verzeichnen wir in Niedersachsen eine weiter gesunkene Wahlbeteiligung, bei der BTW 2021 haben etwa 20% oder ca. 900.000 Wähler, bei der Landtagswahl 2017 etwa 4% oder knapp 200.000 Wähler mehr abgestimmt. Menschen gehen nicht wählen, obwohl man bei einer kritischen politischen Lage, die jeden Menschen persönlich betrifft, die sein Leben direkt beeinflusst, ja der Meinung sein müsste, dass die Menschen dann ihr Wahlrecht wahrnehmen – wenn sie ein überzeugendes oder zumindest annehmbares Angebot bekommen.

Wenn wir das Wählerpotential der BTW 2021 als Grundmenge ansehen, die potentiell wählen gehen, hat ausschließlich die AfD zugelegt. Als einzige Partei hat sie im Vergleich zur BTW 2021 Wähler hinzugewinnen können, und zwar 60.000. Auch dies ist „mager“ im Vergleich zu dem Protestpotential, aber immerhin ein guter Erfolg, der trotz des „Framings“ als „rechte“ Partei zustande gekommen ist. Dies bedeutet, dass die AfD Stimmen eines Teils des Protestpotentials bekam, der andere – größere – Teil des Protestpotentials ist in das Lager der Nichtwähler gewechselt. Dabei ist es müßig zu spekulieren, ob alle Stimmen für die AfD nun Stimmen aus Überzeugung für das Programm der AfD waren oder ob sie eine Würdigung des Einsatzes gegen die Corona-Maßnahmen, gegen eine Impfpflicht und für einen Frieden mit Russland darstellen.

Als einziger Wahlsieger dieser Wahl kann also die AfD gelten, denn:

Die SPD hat im Vergleich zur BTW 2021 knapp 290.000 Wähler verloren, die Grünen etwa 200.000. Das sind mehr verlorene Wähler als durch die geringere Wahlbeteiligung im Vergleich zur BTW 2021 zu erwarten wäre. Die Wahlverlierer haben natürlich noch mehr verloren, die FDP 300.000 und die Linken 50.000 Wähler.

Es wird in Niedersachsen also wahrscheinlich eine Koalition der Wählerverlierer gebildet, eine Koalition zweier Parteien, die zwar augenblicklich noch eine Mehrheit der Wähler haben, sich aber in einem dynamischen Prozess gesehen auf dem absteigenden Ast befinden. Diese Mehrheit wird ausschließlich dadurch ermöglicht, dass fast 40% der Wahlberechtigten in Niedersachsen von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch gemacht haben.

So werden 48% der Wahlberechtigten in Niedersachsen nicht im nächsten Parlament vertreten sein, da sie entweder nicht gewählt haben oder die Partei ihrer Wahl die 5%-Hürde nicht überspringen konnte.

landtagswahl in niedersachsen

Leider wurde auch dieBasis im Vergleich zur BTW 2021 von etwa 10.000 Wählern weniger gewählt. Wir konnten mit unserer Botschaft nicht alle Wähler erreichen, die uns bei der BTW 2021 ihre Stimme gegeben haben, und erst recht nicht die enttäuschten Wähler der Grünen, der Linken, der FDP und der SPD, und wir konnten auch nicht das nichtwählende Protestpotential mobilisieren.

dieBasis sollte diese Wahl und ihre Analyse zum Anlass nehmen, sich Fragen zu stellen, warum unsere Botschaft nicht zu einer Wahl mobilisieren konnte. Dass dieBasis zu unbekannt ist, kann inzwischen nicht mehr als Ausrede gelten, und auch das „Framing“ durch die Presse ist inzwischen bei so vielen Menschen nicht nur innerhalb des Protestpotentials, sondern auch in der Allgemeinheit bekannt.

Vermitteln wir den Menschen das Bild, dass wir das bessere Konzept, das bessere Programm für ein „gutes Leben“ in Deutschland haben? Dass wir die besseren Krisenmanager sind? Haben wir überhaupt ein funktionierendes, besseres Konzept und Programm für ein „gutes Leben“ in Deutschland? Wären wir die besseren Krisenmanager? Haben wir Bewerber, denen Krisenmanagement zugetraut werden kann? Bewerber, denen zugetraut wird, dass sie den Willen der Bevölkerung (bzw. erstmal der potentiellen Wähler) umsetzen können?

Wenn wir alle diese Fragen nicht mit voller Überzeugung mit „Ja“ beantworten können, müssen wir neue Fragen stellen: Wie sieht unser Konzept, unser Programm für ein „gutes Leben“ in Deutschland überhaupt aus? Wie wollen wir die augenblicklichen Krisen managen? Welche Personen stehen uns dafür zur Verfügung?

Es ist für eine junge Partei kein Fehler, in einer Wahl 1% der Zweitstimmen zu erreichen, obwohl es ein großes Potential an potentiellen, da mit allen anderen Parteien unzufriedenen Wählern gibt. Es wäre aber ein Fehler, nicht über die hier gestellten Fragen zu diskutieren und dafür Antworten zu erarbeiten.

Die Wahlergebnisse sind hier abzurufen:
https://wahlen.statistik.niedersachsen.de/LW2022/

 

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