von Holger Gräf
Zugegeben, ideologische Politik und Religionen hatten immer schon gewisse Gemeinsamkeiten. Beide erheben etwas, das es wahrscheinlich eigentlich gar nicht gibt, zum Dogma und wenn man nicht aufpasst, bestrafen sie jeden, der dieses Dogma nicht teilt. Politische Ideologen haben sich bisher jedoch zumeist dadurch ausgezeichnet, dass sie an kein höheres Wesen, keinen Gott glaubten.
(„Wahrscheinlich“ steht hier übrigens auch nur in Bezug auf Religionen und um keine religiösen Gefühle zu verletzten. Politische Ideologien gibt es in der Realität tatsächlich nicht.)
Nun aber bediente sich ausgerechnet der deutsche Bundeskanzler einer Rhetorik, die zumindest den Verdacht zulässt, er würde sich selbst als eine Art „gottgleiches Wesen“ sehen. Denn wer sonst könnte seine politischen Gegner zum Teufel oder Luzifer erklären?
Was war passiert? Am Freitag, dem 18.08.2023, wollte die SPD mit einer Rede des Bundeskanzlers in den bayerischen Landtagswahlkampf starten. Das gestaltete sich jedoch deutlich schwieriger als gedacht. Ca. 3000 Menschen hatten sich auf dem Münchner Marienplatz eingefunden, die meisten davon unzufrieden mit der Politik der SPD. Das größte Reizthema war die Ukrainepolitik der Ampelregierung. Zahlreiche Fahnen mit Friedenstauben wurden geschwenkt und als Olaf Scholz seine Politik der Waffenlieferungen verteidigte, hagelte es Buhrufe. „Wenn ein Land aus rein imperialistischen Motiven, um das eigene Territorium zu vergrößern, das Nachbarland angreift, dann werden wir dieses Land unterstützen“, sagte Scholz und vergaß dabei zu erwähnen, dass er damit den Krieg auch unvermeidlich in die Länge ziehen würde. Noch mehr Buhrufe. Doch ein Kanzler, der bereits seit geraumer Zeit dabei ist, einen immer autoritäreren Staat zu errichten, der sich in einem sogenannten „Bürgerdialog“ eigentlich nur von peinlichst genau ausgewählten „Bürgern“ befragen lässt, sieht gar nicht ein, dass es nun vielleicht einmal an der Zeit wäre, sich mit echten Bürgern auseinanderzusetzen. Stattdessen erklärt er die zahlreichen Friedensaktivisten einfach zu „gefallenen Engeln aus der Hölle“.
Vielleicht war das auch einfach wieder eine dieser öffentlichen Zurschaustellungen von Inkompetenz und Unwissen. Vielleicht wusste Scholz gar nicht, was er mit dieser Zuweisung zum Ausdruck brachte. Nämlich, dass er mit einem einzigen Satz jeden Friedensaktivisten zum Teufel persönlich erklärte. Das aber wiederum würde bedeuten, dass er sich zu dessen Opponenten erklärt und somit zu Gott oder zumindest einem der „guten Engel“. Ob er es nun wusste und absichtlich tat, oder ob es einmal mehr die Inkompetenz seiner Partei und Regierung widerspiegelt, ist eigentlich von geringerer Bedeutung. Beides zeigt nur überdeutlich, dass wir einen Bundeskanzler haben, der über keinerlei politische oder anderweitige Qualitäten verfügt. Einen Kanzler, der nur autoritär aus dem Parlament oder dem Kanzleramt regieren kann und will und der seine Macht dabei schamlos ausnutzt.
Scholz wird einem SED-Politiker immer ähnlicher als einem SPD-Politiker vom Format eines Willy Brandt. Wenn wir ihn und die Seinen gewähren lassen, dann wird er sich vermutlich irgendwann gar nicht mehr dem „Pöbel“ stellen, sondern sich nur noch mit Parteigenossen und hauptberuflichen Klatschern und Fähnchenschwingern umgeben. Das kennen wir ja schon aus Nordkorea und in Varianten aus der DDR, die Olaf Scholz in seinen jungen Jahren mochte und öfter besuchte.