von Sven Teubner
Es ist noch keine Woche her und doch schon weitestgehend aus den deutschen Mainstream-Medien verschwunden. Das bilaterale Treffen des türkischen Präsidenten Recip Tayip Erdogan mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz. Dabei hätte es wichtiger nicht sein können, zeigt es doch, welch grundlegende Wahrnehmungs- und Meinungsunterschiede es zwischen der deutschen und der türkischen Sicht gibt. Das betrifft nicht nur den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern, wo unterschiedliche Standpunkte erwartbar waren, sondern vor allem lässt der Umgang dieser beiden Staatsoberhäupter mit den Medien interessante Blicke auf die deutsche Presse zu.
Dass es kein einfaches Treffen werden würde, kündigte sich schon im Vorfeld des vorigen Wochenendes an. Deutsche „Qualitätsmedien“ zogen gar die Sinnhaftigkeit eines bilateralen Austauschs gerade zum jetzigen Zeitpunkt in Zweifel und die ehemalige LINKE-Politikerin Sevim Dagdelen, die in der Berliner Zeitung zur „Außenexpertin“ gekürt wird, forderte sogar die Ausladung des türkischen Präsidenten aufgrund seiner Haltung und Äußerungen zur Hamas.
Der Krieg in Gaza sollte wahrlich nicht der einzige Grund sein, weswegen man mit Herrn Erdogan sprechen muss, auch wenn er ein durchaus umstrittener und schwieriger Gast ist. Doch die deutschen „Qualitätsmedien“ schaffen es, den Besuch Erdogans genau darauf zu reduzieren. Wer die Schlagzeilen der Tage davor aufmerksam verfolgt hat, konnte außer Erdogans Unterstützung für die Hamas und seiner antiisraelischen Haltung nur wenig Informationen finden. Alles wurde durch die „deutsche“ Brille gesehen, die eine bedingungslose Unterstützung Israels fokussiert und nur ein eindimensionales Bild zulässt. Da passt ein wesentlich differenzierter Blick des türkischen Staatspräsidenten nicht ins Bild und wird im Vorfeld schon konsequenterweise „eingeordnet“.
Dass der deutsche Kanzler sich vehement hinter Israel und dessen Politik stellt, war von vornherein abzusehen. Es scheint schon ein bedeutender Schritt für die deutsche Regierung zu sein anzuerkennen, dass es auf der Seite der Palästinenser auch Opfer gibt und sich Israel an das humanitäre Völkerrecht zu halten hat. Wobei letzteres mehr als Bitte denn als Tatsache formuliert wird.
Viel interessanter ist es, sich die Fragen an den türkischen Präsidenten und seine Reaktionen darauf genauer anzuschauen. Michael Fischer, Journalist bei der dpa, war es dann, der ihn fürs deutsche Publikum ins rechte Licht rücken durfte, und der Mann war nicht zimperlich. Selbstverständlich sei der Angriff der Hamas ein Terrorangriff gewesen und ohne jede Vorgeschichte. In einem langen Schachtelsatz verpackt, breitet er jene Vorverurteilungen aus, die beim deutschen Publikum hängen bleiben sollen. Die deutsche Gesellschaft hätten Erdogans Äußerungen in den letzten Wochen irritiert und seine NATO Partner gar verunsichert. Dabei äußerte sogar der Generalsekretär der NATO, Jens Stoltenberg, dass die Nähe Erdogans zur Hamas kein Problem für die NATO sei. Weiter ging es mit dem Bekenntnis zu Israels Existenzrecht, das ja in Deutschland zur Staatsräson gehört, und wie er, Erdogan, das mit dem Vorwurf des Faschismus gegenüber Israel meine. Auch hier hat es Herr Fischer wieder geschafft, bewusst oder nicht, mehrere Keywords unterzubringen, um dem Zuhörer seine vorgefertigte Meinung in den Kopf zu pflanzen. Denn nichts anderes soll dieser Absatz bewirken. Er verkauft die deutsche Mainstream-Meinung zwar in Form einer angeblich ehrlich gemeinten Frage, doch soll die Antwort eigentlich schon fest stehen, wenn sie denn überhaupt nötig ist. Diese Art der Fragestellung ist symptomatisch für die deutsche Journalisten-Riege und lässt sich an unzähligen Beispielen festmachen.
Eine der brisantesten Fragen ist die, wie denn Erdogan auf die Idee komme, den israelischen Militäreinsatz gegen die Hamas als Völkermord zu bezeichnen. Hier sieht man wie sowohl Scholz als auch der Dolmetscher ins Schwitzen geraten.
Erdogan spricht hier genau das an, was im Gazastreifen gerade passiert. „Sie sagen hunderte, ich sage tausende Palästinenser werden von Israel getötet, die Krankenhäuser wurden vernichtet, die Gebetshäuser wurden zerbombt, die Kirchen wurden zerbombt. Ich als Muslim störe mich daran, Sie als Christ, stört es Sie nicht, dass die Kirchen zerbombt werden? Und warum gibt es keine Reaktion? Man müsste doch Reaktion zeigen. Für uns gibt es in diesem Zusammenhang in der Region, wenn wir von Juden, von Christen, von Muslimen sprechen, keinen Unterschied. Das darf es auch nicht geben…“
Der Besuch Erdogans hat natürlich auch eine geschäftliche Komponente. Es geht um einen Rüstungsdeal, bei dem Erdogan 40 Eurofighter von Deutschland kaufen möchte. Genau diesen Rüstungsdeal stellt er jetzt zur Disposition und verknüpft das direkt mit der Art der Fragestellung des Herrn Fischer.
„Als Pressevertreter sollten Sie uns damit nicht drohen, fragen Sie uns oder stellen Sie uns solche Fragen, die gewissenhaft sind, die menschlich sind und wo wir dann auch entsprechende Antworten drauf geben können, danke.“
Es ist nicht nur Erdogan, dem die deutschen Pressevertreter sauer aufstoßen. In der Gesellschaft vollzieht sich ein Wandel. Inzwischen muss man ehemals großen Blättern wie dem Spiegel schon Staatsgeld zuschieben, damit sie nicht dicht machen müssen. Der Rundfunkbeitrag, unsere geliebte „freiwillige Zwangsabgabe“, soll ab 2025 wieder erhöht werden. Im Gegensatz dazu erhalten die noch so genannten „alternativen Medien“ immer mehr Zuspruch. Die Menschen in Deutschland haben es satt, bevormundet zu werden, was und wie sie denken sollen, wer „die Guten“ sind und wer „die Bösen“. Dies wurde letztes Wochenende, wenn auch von unerwarteter Seite, erstaunlich deutlich vorgetragen.