von Holger Gräf
Erinnern Sie sich noch an jene, scheinbar schon unendlich lang zurückliegende Zeit, als verbale Entgleisungen, Beleidigungen und Diffamierungen nur von jenen gepflegt wurden, die mangels Bildung keine Argumente vorzuweisen hatten?
Gehörte es nicht einmal zum guten Ton, sich (zumindest in der Öffentlichkeit) zurückzuhalten und sachlich zu artikulieren? War es nicht ein Aushängeschild von Bildung, wenn man eine Diskussion nicht damit führte, den anderen öffentlich bloßzustellen, statt seine Argumente anzuhören, und ihn zu bewerten, sondern mit eigenen Argumenten zu kontern?
Im antiken Griechenland und Rom wurde die Kunst der Rede, die Rhetorik, eigens gelehrt, nicht zuletzt für politische Debatten.
Was ist davon noch übrig, wenn wir uns unsere heutigen Amtsträger anschauen? Leider gar nichts mehr. Wenn wir uns beispielhaft einmal die Aussage des Präsidenten des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, anschauen, der Wähler einer anderen Partei, als die von ihm favorisierte, als „braunen Bodensatz“ bezeichnet, müssen wir uns eingestehen, dass wir verbal bereits alles verloren haben, was uns Griechen und Römer einst hinterließen.
Noch ein Beispiel gefällig?
In der Sendung „Markus Lanz“ attackierte der ehemalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière die Wähler der AfD. Nicht etwa die Partei oder deren Politiker, sondern ihre Wähler.
Und vergessen wir nicht die zahllosen verbalen Entgleisungen gegenüber jenen, die sich seit 2020 den repressiven staatlichen Maßnahmen entgegengestellt haben, insbesondere wenn sie sich nicht impfen lassen wollten.
Die Art der Kommunikation ist auf dem absoluten Tiefpunkt angelangt. Tiefer kann es gar nicht mehr gehen. Wer jetzt noch einen draufsetzen will, der lässt vermutlich die Fäuste sprechen.
Doch warum ist das eigentlich so? Eine Antwort könnte lauten: Angriffe, die sich in einer Debatte gegen eine Person oder Personengruppe statt gegen deren Inhalte richten (sogenannte argumenta ad hominem), waren schon immer eine Strategie derjenigen, die keine wirklichen Argumente besitzen. Es ist ihre einzige „Waffe“, um in einer Diskussion nicht völlig unterzugehen.
Wer andere als „braunen Bodensatz“ oder „Sozialschädlinge“ bezeichnet, weiß, dass er Menschen beschimpft, die eigentlich im Recht sind. Zumindest erkennt er täglich, dass er mit einer Vielzahl an Argumenten konfrontiert wird, die er nicht widerlegen kann. Gleichzeitig ist er der Überzeugung, Recht haben zu müssen. Das Einzige, was er tun kann: Er beschimpft die anderen.
Für unser soziales Miteinander sind derartige Entgleisungen Gift. Sie sollen nicht nur verletzend sein, sie sind es auch. Sie hinterlassen unsichtbare Verletzungen, die furchtbar schlecht verheilen. Werden sie in dieser Vehemenz geführt, wie wir es seit mehr als drei Jahren erleben, führt dies zu einer tiefgreifenden Spaltung in der Bevölkerung und zu Lagern, die sich immer unversöhnlicher gegenüber stehen. Eine Versöhnung, selbst unter Nachbarn, Freunden und innerhalb der Familie wird immer unwahrscheinlicher.
dieBasis hat sich die Säule der Achtsamkeit nicht etwa gegeben, damit alle nur noch lieb und nett zueinander sein müssen. Auseinandersetzungen gehören zum Zusammenleben dazu. Doch sie dürfen nicht zu den aktuellen Zuständen führen. Oft werden wir wegen dieser Säule belächelt und nicht selten, weil man sie falsch interpretiert. Eine Säule der Achtsamkeit in der Politik (also eine verbindliche Einigung darauf, den anderen nicht zu beleidigen, herabzuwürdigen oder zu diskreditieren, um ihn zu verletzen und jeder inhaltlichen Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen) hätte aber das verhindern können, was wir gerade erleben.